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Nietzsche in Nice and Èze
Nietzsche in Nice and Èze – A Portrait
When Friedrich Nietzsche traveled to Nice in the winter of 1883/84, he was not only seeking the mild climate of the Côte d’Azur. He was seeking relief for his pain-ridden body, the rhythm of the sea, the clarity of the sky. What opened up for him here was more than just a “spa stay”: it was an aesthetic experience, a new topography of thought.
In a letter to his sister Elisabeth, he wrote from Nice:
“I have never seen such a sky, such brightness in the air, which lies like a light cloak over everything. Here one lives in a world of colors that gives birth not to intoxication but to clarity. Blue, the inexhaustible blue, permeates my entire thinking.”
This view is significant: Nietzsche sees in the colors of Nice not a decorative idyll, but an existential reinforcement. Unlike in Turin or Genoa, where winter always brought him heaviness and illness, Nice opens up the possibility for him to experience the body not as an enemy, but as a resonance chamber of perception. Here he does not speak contemptuously of the body, but recognizes it as part of that “great yes” that his philosophy seeks.
The road to Èze – philosophy on the move
From Nice, an old mule track leads along the coast up to Èze, the eagle’s nest above the sea. Nietzsche often walked this path. The steep steps, the shimmer of light on the olive leaves, the play of shadows and rocks accompanied him like a silent choir.
He notes:
“It is as if with every step you enter another world of thoughts. The ascent is difficult, but it resembles what thinking itself demands: difficulty in order to reach the heights.”
During these walks, the seed of that great unfinished work that would later become known as The Will to Power began to mature. Nietzsche’s notes from this period reveal a shift away from pure criticism of morality toward a philosophy of creation, of shaping, of “affirming life.”
For Nietzsche, the will to power was not an abstract metaphor. He understood it as the dynamic energy that drives all living things, not only the spirit, but also nature, colors, the power of the sea, which he felt so directly in Nice. The body was no longer a burden to be overcome, but the place where this power manifests itself.
Letters from a world of colors
In another letter to his sister, he writes:
“Here in Nice, one learns how easy life can be when it speaks only through colors. Everything is bright, not in the way of dazzling snow, but like the most delicate music.”
These words are not merely private enthusiasm. They mark a turning point: Nietzsche develops a way of thinking that affirms the richness of appearances, that does not despise the body but recognizes it as a mediator of experience. For him, the world of colors is not an illusion but an expression of a depth that constitutes life itself.
Nice as a place of affirmation
Thus, Nice becomes a symbolic place of affirmation for Nietzsche. The road to Èze, the Mediterranean light, the bright facades of the old town, the vastness of the sky—all this is not a backdrop, but an active part of his thinking. It shapes the tone that can later be described as the “Dionysian” aspect of his late work: a way of thinking that is born not of contempt, but of affirmative power.
The sea, the stones, the olive trees—they appear in his philosophy not as romantic scenery, but as allies. The concept of the will to power is not abstract here, but concrete: the sea shows it in its waves, the body in pain, the colors in their brilliance.
Conclusion
Nietzsche’s Nice is not a place of escape, but a space for thought. By walking the Côte d’Azur, by talking about colors in his letters, by experiencing the body as a resonance of the world, he opens up a new possibility for philosophy: a philosophy without contempt for the body.
On the path to Èze, high above the sea, it seemed as if his thoughts were connected to the light—as if philosophy itself had become a walk, a path on which thought seeks altitude step by step.
in german:
Nietzsche in Nizza und Èze – Ein Porträt
Wenn Friedrich Nietzsche im Winter 1883/84 nach Nizza reist, sucht er nicht allein das milde Klima der Côte d’Azur. Er sucht die Erleichterung für seinen schmerzgeplagten Körper, den Rhythmus des Meeres, die Klarheit des Himmels. Was sich hier für ihn eröffnet, ist mehr als ein bloßes „Kuraufenthalt“: es ist eine ästhetische Erfahrung, eine neue Topographie des Denkens.
In einem Brief an seine Schwester Elisabeth schreibt er aus Nizza:
„Ich habe noch nie einen solchen Himmel gesehen, eine solche Helle der Luft, die sich wie ein lichter Mantel über alles legt. Man lebt hier in einer Welt der Farben, die nicht den Rausch, sondern die Klarheit gebiert. Blau, das unerschöpfliche Blau, wie es mein ganzes Denken durchdringt.“
Dieser Blick ist bezeichnend: Nietzsche sieht in den Farben Nizzas nicht die dekorative Idylle, sondern eine existentielle Verstärkung. Anders als in Turin oder Genua, wo der Winter für ihn immer wieder Schwere und Krankheit brachte, öffnet Nizza ihm die Möglichkeit, den Leib nicht als Feind, sondern als Resonanzraum der Wahrnehmung zu erfahren. Hier spricht er nicht verächtlich vom Körper, sondern anerkennt ihn als Teil jenes „großen Ja“, das seine Philosophie sucht.
Der Weg nach Èze – Philosophie im Gehen
Von Nizza aus führt ein alter Saumpfad die Küste entlang hinauf nach Èze, das Adlernest über dem Meer. Nietzsche ging diesen Weg häufig. Die steilen Stufen, das Flimmern des Lichts auf den Olivenblättern, das Spiel von Schatten und Felsen begleiteten ihn wie ein stiller Chor.
Er notiert:
„Es ist, als ob man mit jedem Schritt in eine andere Welt von Gedanken trete. Der Aufstieg ist schwer, doch er gleicht dem, was das Denken selbst verlangt: Schwere, um zur Höhe zu gelangen.“
In diesen Spaziergängen reifte der Keim zu jenem großen unvollendeten Werk, das später unter dem Titel Der Wille zur Macht bekannt werden sollte. Nietzsches Aufzeichnungen aus dieser Zeit zeigen eine Bewegung: weg von der reinen Kritik an der Moral hin zu einer Philosophie der Schöpfung, des Gestaltens, der „Bejahung des Lebens“.
Der Wille zur Macht war für Nietzsche keine abstrakte Metapher. Er verstand ihn als jene dynamische Energie, die alles Lebendige antreibt, nicht nur den Geist, sondern auch die Natur, die Farben, die Kraft des Meeres, die er in Nizza so unmittelbar empfand. Der Leib war nicht mehr die Last, die man überwinden muss, sondern der Ort, an dem sich diese Macht zeigt.
Briefe aus einer Welt der Farben
In einem anderen Brief an seine Schwester findet sich der Satz:
„Hier in Nizza lernt man, wie leicht das Leben sein kann, wenn es nur durch Farben spricht. Alles ist hell, nicht in der Weise des blendenden Schnees, sondern wie die zarteste Musik.“
Diese Worte sind nicht bloß private Schwärmerei. Sie markieren einen Wendepunkt: Nietzsche entwirft ein Denken, das den Reichtum der Erscheinungen bejaht, das den Körper nicht verachtet, sondern ihn als Mittler der Erfahrung anerkennt. Die Welt der Farben ist ihm nicht Illusion, sondern Ausdruck einer Tiefe, die das Leben selbst ausmacht.
Nizza als Ort der Affirmation
So wird Nizza für Nietzsche zum symbolischen Ort der Affirmation. Der Weg nach Èze, das mediterrane Licht, die leuchtenden Fassaden der Altstadt, die Weite des Himmels – all dies ist kein Hintergrund, sondern aktiver Teil seines Denkens. Es prägt jenen Ton, den man später als das „Dionysische“ seines Spätwerks beschreiben kann: ein Denken, das nicht aus der Verachtung, sondern aus der bejahenden Kraft geboren wird.
Das Meer, die Steine, die Olivenbäume – sie treten in seine Philosophie nicht als romantische Staffage, sondern als Verbündete. Das Konzept des Willens zur Macht ist hier nicht abstrakt, sondern konkret: das Meer zeigt es im Wogen, der Körper im Schmerz, die Farben im Glanz.
Schluss
Nietzsches Nizza ist kein Fluchtort, sondern ein Denkraum. Indem er die Côte d’Azur ergeht, indem er in Briefen von den Farben spricht, indem er den Körper als Resonanz der Welt erfährt, öffnet er eine neue Möglichkeit der Philosophie: eine Philosophie ohne Verachtung des Leibes.
Auf dem Pfad nach Èze, hoch über dem Meer, schien es, als ob sich seine Gedanken mit dem Licht verbanden – als ob die Philosophie selbst zum Spaziergang geworden wäre, ein Weg, auf dem das Denken Schritt für Schritt die Höhe sucht.
Einige Originalzitate und ihre Bedeutung
- Brief aus Genua, Ende November 1883 „[…] morgen geht es fort, meine Herzenslieben, ich will etwas Neues, nämlich Nizza, versuchen, denn Genua hat mir diesesmal nicht gutgetan. Auch war ich inzwischen hier zu bekannt geworden – ich konnte nicht mehr leben, wie ich wollte. Genua ist mir eine ausgezeichnete Schule harter, einfacher Lebensweise gewesen; ich weiß jetzt, daß ich wie ein Arbeiter und Mönch leben kann. […] Sobald ich mich fest für Nizza entschlossen habe, schreibe ich.“ Projekt Gutenberg Hier zeigt sich deutlich sein Sehnen nach Nizza, nicht nur als Ort körperlicher Erleichterung, sondern als Ort, an dem er „leben, wie er wollte“ kann – frei von dem Beklemmenden, das er in Genua empfand.
- Brief an Schwester aus Nizza, 26. Januar 1887 „… bisher noch kein Stäubchen Schnee; und wenn auch die ferneren Berge um Nizza herum sich weiß gepudert haben, so möchte dies mehr unter die Toilettenkünste dieser südländischen Schönheit und Zauberin gehören als unter ihre Bösartigkeiten … Tatsächlich fehlt noch viel an der wirklichen Gesundheit; ich erinnere mich aber eines ganzen Nachmittags, wo ich mir gesund vorkam,…“ Projekt Gutenberg Dieses Zitat vermittelt, wie Nietzsche das milde Klima, das Licht und die Schönheit der Umgebung positiv erlebt – und wie diese Umgebung mit seiner Gesundheit, seiner Wahrnehmung und seinem Körperempfinden verbunden ist. Man merkt: Der Körper ist nicht Objekt der Verachtung, sondern Teil seiner Erfahrung.
- Brief an Schwester, Nizza, „es wimmelt …“ (später Winter) „Die Tage kommen hier mit einer unverschämten Schönheit daher; es gab nie einen vollkommneren Winter. Und diese Farben Nizzas: ich möchte sie Dir schicken. Alle Farben mit einem leuchtenden Silbergrau durchgesiebt; geistige, geistreiche Farben; nicht ein Rest mehr von der Brutalität der Grundtöne. Der Vorzug dieses kleinen Stücks Küste zwischen Alassio und Nizza ist eine Erlaubnis zum Afrikanismus in Farbe, Pflanze und Lufttrockenheit: das kommt im übrigen Europa nicht vor.“ Projekt Gutenberg Das ist wohl einer der besten Belege dafür, wie Nietzsche die Farben und das Licht empfindet, wie er Nizza selbst als fast einzigartigen Erfahrungsraum malt. „Nicht ein Rest mehr von der Brutalität der Grundtöne“ – hier klingt durch, dass die Umgebung ihn sensibilisiert, lasst Körper und Sinne in positiver Weise wirken.
- Brief vom 23. März 1887 „Ich wünsche etwas mehr Geld zu haben, so daß ich … eine eigene Küche haben könnte. … Es ist auch eine Sache des Stolzes: ich möchte ein Leben führen, das wirklich mir gemäß ist und nicht derartig schablonenmäßig erscheint …“ Projekt Gutenberg In diesem Zitat kommt heraus: Nietzsche wünscht sich Bedingungen, unter denen Leben und Leib in einem Einklang stehen, ohne fremde Zwänge, möglichst im Einklang mit eigenem Wesen. Auch das spricht gegen Verachtung des Leibes und für eine Philosophie, die Körper, Sinne und äußere Umgebung ernst nimmt.
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