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Walter Bondy – Fotograf des Exils
Walter Bondy – Fotograf des Exils und Chronist von Sanary
Wenn man an die Exilorte der europäischen Intellektuellen in der Zwischenkriegszeit denkt, erscheint Sanary-sur-Mer wie ein leuchtender Punkt an der südfranzösischen Küste: ein Hafenstädtchen, das sich unversehens in eine provisorische Hauptstadt der deutschsprachigen Kultur verwandelte. Unter den Schriftstellern, Musikern und Künstlern, die hier Zuflucht suchten, befand sich auch Walter Bondy, ein Mann, der die Krise seiner Epoche nicht nur durchlebte, sondern sie mit der Kamera dokumentierte.
Bondy, 1880 in Prag geboren, entstammte einer assimilierten jüdischen Familie. Schon früh stand er im Bann der Kunst: zunächst als Maler, später als Kunstkritiker, Sammler und Händler. In Wien und Berlin zählte er zu jenen Figuren, die die Moderne befeuerten, ohne sich selbst ganz ins Rampenlicht zu stellen. Sein Werk oszillierte stets zwischen eigenem künstlerischem Ausdruck und der Vermittlung anderer – ein Dasein als Mittler, Beobachter, Chronist.
Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten musste Bondy Deutschland verlassen. Seine Flucht führte ihn nach Frankreich, wo er sich in Sanary-sur-Mer niederließ – jenem Ort, den Lion Feuchtwanger das „Hauptquartier der deutschen Literatur“ nannte. Hier lebten und arbeiteten Thomas Mann, Arnold Zweig, Franz Werfel, Alma Mahler-Werfel, die Feuchtwangers, die Kracauers und viele andere. Bondy aber nahm eine Sonderrolle ein: nicht als gefeierter Schriftsteller, sondern als Fotograf, der das Leben der Exilanten mit stillem, zugleich unbestechlichem Blick festhielt.
Die Fotografie wurde für Bondy im Exil zum eigentlichen Medium der Existenz. In einer Welt, in der Sprache, Publikationsmöglichkeiten und Märkte von der Diktatur abgeschnitten waren, konnte die Kamera Brücken schlagen. Seine Porträts zeigen nicht nur Gesichter, sie spiegeln auch die Fragilität einer ganzen Generation, die auf gepackten Koffern lebte, heimatlos zwischen den Fronten einer sich verdüsternden Weltgeschichte.
Bondys Atelier in Sanary war kein glamouröses Studio, sondern eher eine improvisierte Werkstatt. Doch dort gingen viele der großen Namen des Exils ein und aus. Seine Aufnahmen wirken unprätentiös: Sie verzichten auf Inszenierung und suchen die Nähe zur Person. In den Gesichtern von Schriftstellern und Künstlern, die alles verloren hatten außer ihrer geistigen Stimme, wird die Spannung zwischen innerer Würde und äußerer Unsicherheit greifbar.
Dabei war Bondy selbst keineswegs nur der dokumentierende Außenstehende. Auch er lebte im Modus des Provisoriums, im ökonomischen Mangel, im ständigen Bewusstsein der Unsicherheit. Sein fotografisches Werk ist deshalb nicht nur Abbild einer Exilgemeinschaft, sondern auch Ausdruck einer eigenen existentiellen Lage. Der Fotograf des Exils war zugleich ein Exilant, dessen Kamera sein Überlebensinstrument wurde.
In Sanary, diesem paradoxen Paradies, das Sonne und Weinreben bot, während in Deutschland Bücher verbrannt wurden, entstand so ein Bildarchiv, das heute zu den kostbaren Zeugnissen jener Epoche zählt. Bondys Porträts sind nicht nur ästhetisch überzeugend; sie sind auch historische Dokumente, Spiegel einer verlorenen Welt.
Tragisch bleibt, dass Bondy wie viele andere nie wirklich Fuß fassen konnte. Nach 1940 verschärfte sich die Lage der Emigranten auch in Frankreich, Internierungslager und Flucht wurden zur bitteren Realität. Bondy selbst starb 1940 in Toulon, geschwächt und entwurzelt, kaum beachtet von einer Welt, die bereits im Krieg versank.
Doch sein Vermächtnis ist unübersehbar: Walter Bondy hat die Gesichter des Exils bewahrt. In seiner Arbeit verschränken sich Kunst und Dokumentation, persönliches Schicksal und kollektives Gedächtnis. Wer heute seine Aufnahmen betrachtet, sieht nicht nur Schriftsteller, Musiker oder Künstler – man sieht den Abdruck einer ganzen Kultur, die im Süden Frankreichs noch einmal aufblühte, bevor sie von Verfolgung und Vernichtung überschattet wurde.
Die Porträts – Gesichter einer verlorenen Welt
Bondys Fotografien aus Sanary sind heute unschätzbare Dokumente. Sie zeigen die Exilanten nicht als Denkmalfiguren, sondern als Menschen in einer fragilen Gegenwart:
- Lion Feuchtwanger porträtierte Bondy mit einem wachen, beinahe skeptischen Blick – der Schriftsteller, der in Frankreich zwar noch eine Stimme hatte, aber schon ahnte, dass er erneut fliehen musste.
- Alma Mahler-Werfel erscheint in seinen Bildern nicht als glamouröse Muse, sondern ernst, fast streng – eine Frau, die in ihrer Biografie mehr Brüche vereinte als viele andere.
- Franz Werfel zeigt er mit müden Augen, in einem Moment der Stille zwischen schöpferischem Furor und innerer Erschöpfung.
- Auch Arnold Zweig und Ernst Toller hat Bondy festgehalten: Männer, die ihre literarische Autorität bewahren wollten, während ihr Alltag von Unsicherheit, ökonomischer Not und der Angst vor Internierung bestimmt war.
Diese Aufnahmen verzichten auf spektakuläre Inszenierung. Bondy suchte nicht die Pose, sondern das Gesicht selbst, die kleine Regung, den Ausdruck zwischen Hoffnung und Sorge. Seine Bilder sind keine bloßen Künstlerporträts, sondern Zeugnisse einer Gemeinschaft im Übergang, die im Süden Frankreichs für einen kurzen Moment Atem schöpfte.
Sanary, Nizza, Marseille, Los Angeles – Orte des Exils im Vergleich
Um Bondys Bedeutung zu verstehen, lohnt der Blick auf die Geografie des Exils:
- Sanary-sur-Mer war ein Ort der Nähe: klein, überschaubar, fast dörflich. Hier kannten sich die Exilanten, sie begegneten sich täglich am Hafen, beim Einkauf, in den Cafés. Bondys Fotografien leben von dieser Intimität.
- Nizza und die Côte d’Azur boten hingegen mondänere Rückzugsräume. Hier versammelte sich eine kosmopolitische Gesellschaft aus Künstlern, Politikern, Diplomaten. Die Distanz zwischen den Exilanten war größer, ihre Sichtbarkeit höher.
- Marseille wurde ab 1940 zum Transitort, chaotisch, gefährlich, geprägt von Flucht und Rettungsversuchen. Hier dominierten Pässe, Visa, Schiffstickets, nicht die Kontemplation.
- Los Angeles schließlich, oft „Weimar am Pazifik“ genannt, wurde für viele zum dauerhaften Exil: Dort entstand eine deutschsprachige Parallelkultur, in der Schriftsteller, Musiker und Intellektuelle eine zweite Heimat fanden.
Bondy aber blieb in Sanary. Und gerade das macht seine Bilder einzigartig: Sie zeigen den kurzen Moment, in dem die Exilanten noch nicht zerstreut waren, sondern eine Gemeinschaft bildeten. Ein Vorspiel zur Flucht, eingefroren im Licht Südfrankreichs.
Vermächtnis
Heute gelten Walter Bondys Fotografien als unschätzbare Zeugnisse des Exils. Sie erinnern daran, dass Kulturgeschichte nicht nur in Büchern geschrieben wird, sondern auch in Gesichtern. Bondy hat jene festgehalten, die die deutsche Kultur ins Exil trugen, bevor sie sich über Kontinente verstreute.
Er selbst blieb eine Randfigur, starb vergessen – und doch verdankt ihm die Nachwelt ein visuelles Gedächtnis dieser Epoche. In seinen Bildern verbinden sich die persönliche Erfahrung des Flüchtlings mit dem Blick des Künstlers. Sanary lebt in ihnen fort: als Ort der Verlorenen, der Schaffenden, der Wartenden.
Walter Bondy – Fotograf des Exils: ein Mann, der mit der Kamera die Würde jener bewahrte, die fast alles verloren hatten.
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