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Tag: Sanary
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Leseabende in Sanary โ die Exil-Salonkunst
Thomas Mann und die Exil-Salonkunst
in english below:
Thomas Mann und die kleine Exil-Salonkunst
Im Sommer 1933, kurz nach der Flucht vieler deutscher Intellektueller vor dem NS-Regime, verรคnderte sich das Leben in dem einst verschlafenen Fischerdorf Sanary-sur-Mer an der Cรดte dโAzur. Unter den neu Angekommenen waren Thomas Mann und seine Familie; bald bildete sich um die Villen der Emigranten ein enges, kultiviertes Netzwerk aus Schriftstellern, Kritikern und Kรผnstlern. In diesem Milieu etablierten sich die berรผchtigten Lese- und Gesprรคchsabende โ zwanglose, zugleich hochintellektuelle Zusammenkรผnfte, die Thomas Mann, sein Bruder Heinrich, Renรฉ Schickele, Lion Feuchtwanger, Julius Meier-Graefe und andere regelmรครig besuchten oder selbst als Vortragende gestalteten. Diese Abende waren weder akademische Tagungen noch rein private Plauderstunden: sie verbanden Vorlesung, gegenseitige Kritik und politischen Austausch in einer Zeit, in der beides โ Kunst und รffentlichkeit โ unter Druck geraten war. Office de Tourisme Sanary sur Mer+1
Rรคumliche und soziale Bรผhne
Die Lesungen fanden hรคufig in den Gรคrten und Salons der groรen Villen statt โ etwa in der von Thomas Mann bewohnten โVilla La Tranquilleโ oder im Haus der Feuchtwangers und bei Renรฉ Schickele. Hier herrschte eine intime, fast familiรคre Atmosphรคre: ein Kreis ausgewรคhlter Gรคste, Tee oder Abendessen, ein Tisch oder ein Sessel als โPultโ fรผr den Vortragenden. Die physische Nรคhe der Hรคuser in Sanary sowie die starke Vernetzung der Emigranten machten die Stadt zu einem Ort, an dem private Salonpraxis und politisches Exil sich รผberlagerten. literaturportal-bayern.de+1Inhalte und Gesprรคchsgegenstรคnde
Die Themen der Abende waren vielfรคltig, aber zwei Linien ziehen sich wie ein roter Faden durch die Berichte und Erinnerungen: erstens die literarische Arbeit (Vorlesen aus Romanen, Erzรคhlungen oder Essays, Diskussion von Werken in Arbeit), zweitens die Politik des Exils (die Lage in Deutschland, die Frage nach Widerstand, Verantwortung und kultureller Identitรคt). Thomas Mann selbst las gelegentlich aus eigenen Texten oder Entwรผrfenโ der Akt des Vorlesens war fรผr ihn ein Ritual, das Normalitรคt stiftete und gleichzeitig das Publikum unmittelbar an der Entstehung literarischer Form teilhaben lieร. Andere Vortragende โ etwa Renรฉ Schickele oder Lion Feuchtwanger โ brachten Texte, feuilletonistische Reflexionen oder polemische Stellungnahmen zur gegenwรคrtigen politischen Lage ein. Kritik und Retrofit (formale Hinweise, stilistische Debatten) mischten sich mit ernsten Debatten รผber Exilpolitik, Publikationsmรถglichkeiten und die moralische Verpflichtung der Schriftsteller gegenรผber den Vertriebenen und den zurรผckgebliebenen Lesern. De Gruyter Brill+1Welche Rollen spielten die genannten Personen konkret?
Renรฉ Schickele galt als Brรผckenfigur zwischen der deutsch-franzรถsischen Kulturwelt und las sowohl literarische Texte als auch kulturkritische Essays. Julius Meier-Graefe, Kunstkritiker und weithin respektierter Intellektueller, trug kunsttheoretische Betrachtungen vor und kommentierte die kulturelle Lage Europas. Lion Feuchtwanger, ein aktiver politischer Intellektueller, nutzte die Runden oft, um รผber Publikationsstrategien, Leihnetzwerke und die Notwendigkeit kollektiven Handelns zu sprechen. Heinrich Mann, stets politisch engagiert, brachte historische und รถffentliche Perspektiven ein โ die Brรผder Thomas und Heinrich ergรคnzten einander hier oft: der eine literarisch, der andere programmatisch-politisch. Diese differenzierten Beitrรคge lieรen die Abende zu einem Ort werden, an dem sowohl Formfragen (รsthetik, Stil) als auch Existenzfragen (Flucht, Publikation, Exilerfahrung) verhandelt wurden. literaturportal-bayern.de+1Gibt es Aufzeichnungen der Gesprรคche?
Zu den Lesungen selbst existieren keine bekannten systematischen Ton- oder Filmaufzeichnungen der privaten Salonabende in Sanary; es handelt sich zumeist um mรผndliche, geschlossene Runden, deren Protokolle allenfalls bruchstรผckhaft in Briefen, Tagebuchnotizen oder spรคteren Erinnerungen auftauchen. Die wichtigste Quelle fรผr die Rekonstruktion dieser Abende sind deshalb persรถnliche Briefe, Tagebรผcher, Memoiren und Korrespondenzen der Beteiligten sowie Nachlรคsse in Archiven (z. B. das Thomas-Mann-Archiv in Zรผrich, Feuchtwanger-Sammlungen, verschiedene Universitรคtsarchive), die Manuskripte, Skizzen und gelegentlich schriftliche Notizen zu Vortrรคgen enthalten. Wer die Diskussionen โnachhรถrtโ, tut dies durch sorgfรคltiges Studium dieser Dokumente โ die Lesarten bleiben dabei notwendigerweise selektiv und rekonstruierend. Thomas-Mann-Archiv+1Tonaufnahmen Thomas Manns existieren zwar (etwa frรผhe Aufnahmen und spรคter die BBC-Ansprachen โDeutsche Hรถrer!โ), doch diese dokumentieren รถffentliche Reden und Rundfunksendungen โ nicht die privaten Leseabende in Sanary. Fรผr die Abende selbst muss man sich auf schriftliche Quellen stรผtzen. Wikipedia+1
Quellenlage und Forschungsmรถglichkeiten
Wer heute mehr รผber die Leseabende wissen will, findet wertvolle Hinweise in lokalen Sammlungen (Gemeindearchiv Sanary, touristische Dokumentationen zur โStadt des Exilsโ), in den groรen Nachlass-Archiven (Thomas-Mann-Archiv ETH Zรผrich, Feuchtwanger-Papers, Nachlรคsse bei Universitรคten) und in wissenschaftlichen Arbeiten zur Exilliteratur und zur deutsch-franzรถsischen Emigrationsgemeinschaft der 1930er Jahre. Sekundรคrliteratur, Konferenzbeitrรคge und Monographien rekonstruieren die soziale Praxis dieser Salons und ordnen die Gesprรคche in die grรถรere Geschichte des Exils ein. Office de Tourisme Sanary sur Mer+2nomadit.co.uk+2Normalitรคt als Widerstandsform
Die Leseabende in Sanary erscheinen, bei aller Intellektualitรคt, auch als ein Akt des Alltags: das wiederholte Vorlesen, die Diskussion รผber Form, die Pflege รคsthetischer Rituale โ all das war mehr als Kulturpflege; es war ein Widerstand gegen die Zerstรถrung einer kulturellen Ordnung. In den kleinen Salons von Sanary verwoben sich Literatur und politisches Bewusstsein, und die Abende selbst wurden zu Zeugnissen jener fragile Normalitรคt, die Exilanten suchten und zugleich verteidigten. Office de Tourisme Sanary sur Mer+1
Wichtige Archiv- und Nachlassquellen
Archiv / Sammlung Relevante Bestรคnde / Materialien Hinweise zur Einsicht Thomas-Mann-Archiv, ETH Zรผrich Umfasst Manuskripte, Typoskripte, Korrespondenzen (ca. 16 000 Briefe, plus Briefe von und an Katia, Tรถchter etc.) thomas-mann-gesellschaft.de+2Thomas-Mann-Archiv+2 Die Metadaten und Beschreibungen vieler Briefe sind online verfรผgbar; digitale Handschriften werden zunehmend zugรคnglich gemacht (teilweise nur im Lesesaal) Thomas-Mann-Archiv+1 Feuchtwanger-Nachlass / Feuchtwanger Memorial Library Briefe, Tagebuchaufzeichnungen, Gรคstelisten, mรถgliche Notizen zu Salonrunden Die Feuchtwanger Archives sind Teil des Netzwerks literarischer Forschungseinrichtungen (z. B. in den USA) thomasmanninternational.com+1 Deutsches Literaturarchiv Marbach Allgemeine Quellen zur Exilliteratur, Korrespondenzen von Emigranten, Sammlungen zu Meier-Graefe etc. Als groรes Literaturarchiv fรผhrt Marbach vielfรคltige Brief- und Manuskriptbestรคnde, auch zu Exilautoren thomasmanninternational.com+1 Heinrich-Mann-Archiv / Akademie der Kรผnste, Berlin Briefe, Manuskripte, Materialien von Heinrich Mann Teil des Thomas-Mann-International / Netzwerks der Mann-Archive thomasmanninternational.com+1 Thomas Mann Collection, Yale University Manuskripte, Briefe und Dokumente (in Ergรคnzung zu den Bestรคnden in Zรผrich) archives.yale.edu Fรผr Forschende mit Zugang zu US-Archiven relevant
Exemplarische Fundstรผcke & Exzerpte
Nachfolgend einige konkrete Nachweise, die (teilweise) Ausblicke auf die Sanary-Leseabende und ihr Umfeld ermรถglichen:
- Rene Schickele, Tagebuch 8. Mai 1933
Schickele notiert eine Begegnung mit Thomas Mann: โEr sieht schlecht aus โฆ sehr bedrรผckt โฆ Fรผr Heinrich Mann bedeutet die Verbannung โฆ keine groรe Verรคnderung โฆ Thomas โฆ ist โฆ aus allen Himmeln gefallen.โ
Damit gibt Schickele einen Stimmungsbeitrag zur frรผhen Exilphase ab. literaturportal-bayern.de - Thomas Mann โ Brief an Hermann Hesse, 31. Juli 1933
In diesem Brief รคuรert Thomas Mann seine inneren Konflikte mit der Exilsituation: โIch habe meinen Kampf durchgekรคmpft. Es kommen freilich immer noch Augenblicke, in denen ich mich frage: warum eigentlich? โฆ Es ginge nicht, ich wรผrde verkommen โฆโ
Der Brief belegt, wie literarisches Schaffen in Sanary mit existenzieller Unsicherheit gekoppelt war. literaturportal-bayern.de - Monika Mann, Erinnerungen
Monika Mann schildert, wie ihr Vater in der Villa La Tranquille Leseabende fortsetzte, die bereits in Bandol begonnen worden waren, und dass neben ihm auch Schickele, Feuchtwanger und Heinrich Mann Texte vortrugen. literaturportal-bayern.de+2literaturportal-bayern.de+2 - Sanary: โVilla Valmerโ โ Feuchtwangerโs Salon
Nachdem Thomas Mann Sanary verlassen hatte, wurde die Villa Valmer zum Treffpunkt literarischer Kreise, mit Lesungen und Gedankenaustausch. Marta Feuchtwanger organisierte Teegesellschaften, zu denen bis zu sechzig Gรคste eingeladen wurden. Office de Tourisme Sanary sur Mer+1 - Sekundรคrliteratur / Exilstudien
In der Studie Sanary โ Deutsche Literatur im Exil ist ein Brief von Schickele an Thomas Mann vom 17. April 1933 erwรคhnt, der im Kontext der Exilvermittlung steht. SpringerLink
In Exile in Paradise: A Literary History of Sanary-sur-Mer werden die intellektuellen Netzwerke, die institutionelle Infrastruktur der Exilkolonie und die literarische Praxis in Sanary aus kulturhistorischer Sicht analysiert. nomadit.co.uk+2nomadit.co.uk+2 - Literaturportal Bayern
Dort heiรt es: โIn der Villa La Tranquille setzt Thomas Mann seine bereits in Bandol begonnen Leseabende fort. โฆ Hier tragen Autoren wie Rene Schickele, Lion Feuchtwanger, sein Bruder Heinrich aber auch er selbst Texte vor.โ literaturportal-bayern.de
Renรฉ Schickele
in english:
Reading evenings in Sanary โ the art of the salon in exile
Thomas Mann and the small art of exile salons
In the summer of 1933, shortly after many German intellectuals fled the Nazi regime, life changed in the once sleepy fishing village of Sanary-sur-Mer on the Cรดte d’Azur. Among the new arrivals were Thomas Mann and his family; soon a close-knit, cultured network of writers, critics, and artists formed around the villas of the emigrants. This milieu gave rise to the infamous reading and discussion eveningsโcasual yet highly intellectual gatherings that Thomas Mann, his brother Heinrich, Renรฉ Schickele, Lion Feuchtwanger, Julius Meier-Graefe, and others regularly attended or even organized themselves as speakers. These evenings were neither academic conferences nor purely private chats: they combined lectures, mutual criticism, and political exchange at a time when both art and public life were under pressure. Office de Tourisme Sanary sur Mer+1
Spatial and social stage
The readings often took place in the gardens and salons of large villasโsuch as Thomas Mann’s โVilla La Tranquille,โ the Feuchtwangers’ house, and Renรฉ Schickele’s home. These venues fostered an intimate, almost familial atmosphere: a circle of select guests, tea or dinner, a table or armchair serving as a โlecternโ for the speaker. The physical proximity of the houses in Sanary and the strong network of emigrants made the town a place where private salon practice and political exile overlapped. literaturportal-bayern.de+1Contents and topics of conversation
The topics of the evenings were varied, but two themes run like a thread through the reports and memories: first, literary work (readings from novels, stories, or essays, discussion of works in progress); second, the politics of exile (the situation in Germany, the question of resistance, responsibility, and cultural identity). Thomas Mann himself occasionally read from his own texts or draftsโfor him, the act of reading aloud was a ritual that created normality and at the same time allowed the audience to participate directly in the creation of literary form. Other speakersโsuch as Renรฉ Schickele and Lion Feuchtwangerโcontributed texts, feuilletonistic reflections, or polemical statements on the current political situation. Criticism and retrofitting (formal references, stylistic debates) mingled with serious debates about exile politics, publication opportunities, and the moral obligation of writers toward displaced persons and readers who had been left behind. De Gruyter Brill+1What specific roles did the individuals mentioned play?
Renรฉ Schickele was regarded as a bridge between German and French cultural circles and read both literary texts and cultural criticism essays. Julius Meier-Graefe, art critic and widely respected intellectual, presented art theory observations and commented on the cultural situation in Europe. Lion Feuchtwanger, an active political intellectual, often used the gatherings to discuss publication strategies, lending networks, and the need for collective action. Heinrich Mann, always politically engaged, contributed historical and public perspectivesโthe brothers Thomas and Heinrich often complemented each other here: one literarily, the other programmatically and politically. These nuanced contributions made the evenings a place where both formal questions (aesthetics, style) and existential questions (flight, publication, exile experience) were negotiated. literaturportal-bayern.de+1Are there any recordings of the conversations?
There are no known systematic audio or film recordings of the private salon evenings in Sanary; these were mostly closed, oral gatherings, with only fragmentary accounts appearing in letters, diary entries, or later memoirs. The most important sources for reconstructing these evenings are therefore personal letters, diaries, memoirs, and correspondence of those involved, as well as estates in archives (e.g., the Thomas Mann Archive in Zurich, Feuchtwanger collections, various university archives), which contain manuscripts, sketches, and occasionally written notes on lectures. Anyone who โlistens inโ on the discussions does so by carefully studying these documentsโthe interpretations necessarily remain selective and reconstructive. Thomas Mann Archive+1Although audio recordings of Thomas Mann exist (such as early recordings and later the BBC addresses โDeutsche Hรถrer!โ), these document public speeches and radio broadcastsโnot the private reading evenings in Sanary. For the evenings themselves, one must rely on written sources. Wikipedia+1
Sources and research opportunities
Anyone who wants to know more about the reading evenings today will find valuable information in local collections (Sanary municipal archives, tourist documentation on the โcity of exileโ), in the major estate archives (Thomas Mann Archive at ETH Zurich, Feuchtwanger Papers, bequests at universities) and in academic works on exile literature and the German-French emigrant community of the 1930s. Secondary literature, conference papers, and monographs reconstruct the social practice of these salons and place the conversations in the larger history of exile. Office de Tourisme Sanary sur Mer+2nomadit.co.uk+2Normality as a form of resistance
Despite their intellectual nature, the reading evenings in Sanary also appear to be an act of everyday life: the repeated reading aloud, the discussion of form, the cultivation of aesthetic rituals โ all this was more than just cultural preservation; it was resistance against the destruction of a cultural order. In the small salons of Sanary, literature and political awareness intertwined, and the evenings themselves became testimonies to the fragile normality that exiles sought and defended at the same time. Office de Tourisme Sanary sur Mer+1
Exemplary findings & excerpts
Below are some specific examples that provide (partial) insights into the Sanary reading evenings and their context:
- Renรฉ Schickele, Diary, May 8, 1933
Schickele notes an encounter with Thomas Mann: โHe looks terrible โฆ very depressed โฆ For Heinrich Mann, exile means โฆ no great change โฆ Thomas โฆ has โฆ fallen from heaven.โ Schickele thus contributes to the mood of the early exile phase. literaturportal-bayern.de - Thomas Mann โ Letter to Hermann Hesse, July 31, 1933
In this letter, Thomas Mann expresses his inner conflicts with his situation in exile: โI have fought my battle. Of course, there are still moments when I ask myself: why, actually? โฆ It wouldn’t work, I would degenerate โฆโThe letter shows how literary creativity in Sanary was linked to existential uncertainty. literaturportal-bayern.de - Monika Mann, Memories
Monika Mann describes how her father continued the reading evenings at Villa La Tranquille that had already begun in Bandol, and that Schickele, Feuchtwanger, and Heinrich Mann also recited texts alongside him. literaturportal-bayern.de+2literaturportal-bayern.de+2 - Sanary: โVilla Valmerโ โ Feuchtwangerโs Salon
After Thomas Mann left Sanary, Villa Valmer became a meeting place for literary circles, with readings and exchanges of ideas. Marta Feuchtwanger organized tea parties to which up to sixty guests were invited. Office de Tourisme Sanary sur Mer+1 - Secondary literature / Exile studies
The study Sanary โ Deutsche Literatur im Exil (Sanary โ German Literature in Exile) mentions a letter from Schickele to Thomas Mann dated April 17, 1933, which relates to the mediation of exile. SpringerLinkExile in Paradise: A Literary History of Sanary-sur-Mer analyzes the intellectual networks, institutional infrastructure of the exile colony, and literary practice in Sanary from a cultural-historical perspective. nomadit.co.uk+2nomadit.co.uk+2 - Literature Portal Bavaria
It states: โAt Villa La Tranquille, Thomas Mann continues the reading evenings he began in Bandol. โฆ Here, authors such as Rene Schickele, Lion Feuchtwanger, his brother Heinrich, and Mann himself recite texts.โ literaturportal-bayern.de
- Rene Schickele, Tagebuch 8. Mai 1933
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Klaus Mann in exile in Sanary
Cafรฉ de Lyon, Sanary-sur-Mer
The afternoon sun cast a golden glow on the whitewashed walls of Sanary. The Cafรฉ de Lyon, a meeting place for exiles, vibrated with voices at a semi-loud intensity, like a stage where everyone was aware of their role. The waiter scurried between the tables, glasses clinked, and in the distance, the Mediterranean Sea roared.
They sat gathered around a round marble table: Klaus Mann, slim, nervous, cigarette perpetually between his fingers; next to him, Eva Herrmann, the illustrator with the sharp gaze that captured faces like paper cutouts; her friend Sybille, who listened attentively; the eloquent Egon Erwin Kisch, the reporter who always seemed to bring a piece of the world with him; the couple Ludwig and Sascha Marcuse, the philosopher and his clever companion; and the Huxleys, Aldous with an ironic, almost absent smile, Maria at his side, who faced European dramas with quiet patience.
Klaus leaned forward, his dark hair falling into his face.
โIt’s the pain of a summer,โ he said quietly, โthat won’t go away. We are all uprooted, all homeless, and yet โ we carry within us the longing for a lost youth. I tried to capture this sadness in literature. But perhaps it was too raw, too direct.โEva Herrmann took a drag on her cigarette, letting the smoke rise in rings to the ceiling.
โToo direct? No, Klaus. Your pain was genuine. The only question is: is honesty enough when the world is on fire?โKisch laughed throatily.
โOh, honesty is a luxury. What counts is attitude! You literati can lose yourselves in your painโI bring the naked facts, the cries from the streets. Your Mephisto, Klaus, I see more attitude there: the masks of power, the corruption of the soul. That’s not just lamentation, that’s accusation.โAldous Huxley tilted his head, his voice sober and cool as glass:
“And yet the question remains: is Mephisto a warning โ or a betrayal? You Germans write about the demons of your own stage, while the rest of Europe hesitates to name the impending catastrophe. The danger lies not only in the actor who sells himself, but in the audience that applauds.”Sybille turned to him.
โBut maybe that’s exactly it, Aldousโthe actor as a mirror. When you recognize Grรผndgens, you recognize an entire generation that is willing to make compromises with the devil.โLudwig Marcuse, the philosopher, spoke deliberately, almost professorially:
“The character in Mephisto is not just the actor. He is an allegory. Anyone who makes a career in the Reich always sells their morals as well. The question, Klaus, is: have you created an epicโor a roman ร clef? If it’s the latter, it will stick to the person. If it is the former, then it will outlive us.”Klaus pressed his lips together, then nodded.
โI want to be both. A witness to history and an accuser. Personal and universal. Maybe I won’t succeed, maybe I’ll fall between two stools. But I can’t remain silent.โMaria Huxley placed her hand lightly on Aldous’ arm, almost soothingly.
โSanary is full of voices, full of books. And yetโฆ do they hear the world outside? Maybe it takes bothโthe reporter, the poet, the analyst, the allegory. Maybe each of you is a piece of a greater truth.โA gust of wind blew in from the harbor, rattling the awnings, bringing the smell of salt and seaweed. For a moment, they all fell silent, only the clinking of glasses and the distant laughter of other guests could be heard.
Then Kisch raised his glass.
โTo pain, to the devil, to exile! And to the fact that at least here, in this little Cafรฉ de Lyon, we have a little bit of freedom.โKlaus looked around, and despite all the gloom, a smile flitted across his face.
โAnd to the hope that words are not entirely powerless.โThe glasses clinked. Outside, the sea was roaring.
in french:
Cafรฉ de Lyon, Sanary-sur-Mer
Le soleil de l’aprรจs-midi donnait un รฉclat dorรฉ aux murs blanchis ร la chaux de Sanary. Le Cafรฉ de Lyon, lieu de rencontre des exilรฉs, vibrait d’une intensitรฉ ร demi-voix, comme une scรจne oรน chacun รฉtait conscient de son rรดle. Le serveur se prรฉcipitait entre les tables, les verres tintaient et, au loin, la Mรฉditerranรฉe murmurait.
Ils รฉtaient assis autour d’une table ronde en marbre : Klaus Mann, mince, nerveux, une cigarette constamment entre les doigts ; ร cรดtรฉ de lui, Eva Herrmann, l’illustratrice au regard perรงant qui saisissait les visages comme des silhouettes dรฉcoupรฉes ; son amie Sybille, qui รฉcoutait attentivement ; Egon Erwin Kisch, le reporter รฉloquent, qui semblait toujours apporter avec lui un morceau du monde ; le couple Ludwig et Sascha Marcuse, le philosophe et sa compagne intelligente ; et les Huxley, Aldous avec un sourire ironique, presque absent, Maria ร ses cรดtรฉs, qui affrontait les drames europรฉens avec une patience tranquille.
Klaus se pencha en avant, ses cheveux noirs tombant sur son visage.
ยซ C’est la douleur d’un รฉtรฉ ยป, dit-il doucement, ยซ qui ne passe pas. Nous sommes tous dรฉracinรฉs, tous sans patrie, et pourtant, nous portons en nous la nostalgie d’une jeunesse perdue. J’ai essayรฉ de capturer cette tristesse dans mes รฉcrits. Mais peut-รชtre รฉtait-ce trop cru, trop direct. ยปEva Herrmann tira sur sa cigarette, laissant la fumรฉe s’รฉlever en volutes vers le plafond.
ยซ Trop direct ? Non, Klaus. Ta douleur รฉtait sincรจre. La question est seulement de savoir si la sincรฉritรฉ suffit quand le monde est en flammes. ยปKisch rit d’un rire guttural.
ยซ Oh, l’honnรชtetรฉ est un luxe. Ce qui compte, c’est l’attitude ! Vous, les littรฉraires, vous pouvez vous perdre dans votre douleur โ moi, j’apporte les faits bruts, les cris qui montent des rues. Ton Mรฉphisto, Klaus, j’y vois davantage une attitude : les masques du pouvoir, la corruption de l’รขme. Ce n’est pas seulement une plainte, c’est une accusation. ยปAldous Huxley inclina la tรชte, la voix sobre et froide comme du verre :
ยซ Et pourtant, la question demeure : Mรฉphisto est-il un avertissement ou une trahison ? Vous, les Allemands, vous รฉcrivez sur les dรฉmons de votre propre scรจne, tandis que le reste de l’Europe hรฉsite ร nommer la catastrophe imminente. Le danger ne rรฉside pas seulement dans l’acteur qui se vend, mais aussi dans le public qui applaudit. ยปSybille se tourna vers lui.
ยซ Mais c’est peut-รชtre justement cela, Aldous : l’acteur comme miroir. Quand on reconnaรฎt Grรผndgens, on reconnaรฎt toute une gรฉnรฉration prรชte ร faire des compromis avec le diable. ยปLudwig Marcuse, le philosophe, s’exprima posรฉment, presque comme un professeur :
ยซ Le personnage de Mรฉphisto n’est pas seulement l’acteur. C’est une allรฉgorie. Quiconque fait carriรจre dans le Reich vend toujours aussi sa morale. La question, Klaus, est la suivante : as-tu crรฉรฉ une รฉpopรฉe ou un roman ร clรฉs ? Si c’est le cas, cela restera liรฉ ร la personne. Si c’est le premier, alors elle nous survivra. ยปKlaus serra les lรจvres, puis acquiesรงa.
ยซ Je veux รชtre les deux. Tรฉmoin de mon temps et accusateur. Personnel et universel. Peut-รชtre que je n’y parviendrai pas, peut-รชtre que je tomberai entre deux chaises. Mais je ne peux pas me taire. ยปMaria Huxley posa lรฉgรจrement la main sur le bras d’Aldous, presque pour l’apaiser.
ยซ Sanary regorge de voix, de livres. Et pourtantโฆ entendent-ils le monde extรฉrieur ? Peut-รชtre faut-il les deux : le reporter, le poรจte, l’analyste, l’allรฉgorie. Peut-รชtre que chacun d’entre vous est un morceau d’une vรฉritรฉ plus grande. ยปUne rafale de vent souffla depuis le port, secoua les auvents et apporta une odeur de sel et d’algues. Pendant un instant, ils restรจrent tous silencieux, seuls le tintement des verres et les rires lointains des autres clients se faisaient entendre.
Puis Kisch leva son verre.
ยซ ร la douleur, au diable, ร l’exil ! Et au fait qu’au moins ici, dans ce petit Cafรฉ de Lyon, nous avons un peu de libertรฉ. ยปKlaus regarda autour de lui et, malgrรฉ toute sa mรฉlancolie, un sourire effleura son visage.
ยซ Et ร l’espoir que les mots ne sont pas tout ร fait impuissants. ยป
in german:
Cafรฉ de Lyon, Sanary-sur-Mer
Die Nachmittagssonne legte einen goldenen Schimmer auf die weiร getรผnchten Mauern von Sanary. Das Cafรฉ de Lyon, Treffpunkt der Exilanten, vibrierte von Stimmen in halblauter Intensitรคt, wie eine Bรผhne, auf der jeder sich seiner Rolle bewusst war. Zwischen den Tischen huschte der Kellner, die Glรคser klirrten, und in der Ferne rauschte das Mittelmeer.
An einem runden Marmortisch saรen sie versammelt: Klaus Mann, schlank, nervรถs, die Zigarette unentwegt zwischen den Fingern; neben ihm Eva Herrmann, die Illustratorin mit dem scharfen Blick, der die Gesichter wie Scherenschnitte erfasste; ihre Freundin Sybille, die aufmerksam lauschte; der wortgewaltige Egon Erwin Kisch, der Reporter, der immer ein Stรผck Welt mitzubringen schien; das Paar Ludwig und Sascha Marcuse, der Philosoph und seine kluge Gefรคhrtin; und die Huxleys, Aldous mit einem ironischen, fast abwesenden Lรคcheln, Maria an seiner Seite, die den europรคischen Dramen mit stiller Geduld entgegensah.
Klaus lehnte sich vor, das dunkle Haar fiel ihm ins Gesicht.
โEs ist der Schmerz eines Sommers,โ sagte er leise, โder nicht vergeht. Wir sind alle entwurzelt, alle heimatlos, und doch โ wir tragen die Sehnsucht nach einer verlorenen Jugend in uns. Ich habe versucht, diese Trauer literarisch einzufangen. Aber vielleicht war es zu nackt, zu direkt.โEva Herrmann zog an ihrer Zigarette, lieร den Rauch in Ringen zur Decke steigen.
โZu direkt? Nein, Klaus. Dein Schmerz war ehrlich. Die Frage ist nur: ob Ehrlichkeit ausreicht, wenn die Welt in Flammen steht.โKisch lachte kehlig.
โAch, Ehrlichkeit ist ein Luxus. Was zรคhlt, ist Haltung! Ihr Literaten kรถnnt euch in eurem Schmerz verlieren โ ich bringe die nackten Tatsachen, die Schreie aus den Straรen. Dein Mephisto, Klaus, da erkenne ich mehr Haltung: die Masken der Macht, die Korruption der Seele. Das ist nicht nur Klage, das ist Anklage.โAldous Huxley neigte den Kopf, die Stimme nรผchtern und kรผhl wie Glas:
โUnd doch bleibt die Frage: ist Mephisto eine Warnung โ oder ein Verrat? Ihr Deutschen schreibt รผber die Dรคmonen eurer eigenen Bรผhne, wรคhrend der Rest Europas zรถgert, die drohende Katastrophe zu benennen. Die Gefahr liegt nicht nur im Schauspieler, der sich verkauft, sondern im Publikum, das Beifall klatscht.โSybille wandte sich zu ihm.
โVielleicht ist es aber gerade das, Aldous โ der Schauspieler als Spiegel. Wenn man Grรผndgens erkennt, erkennt man eine ganze Generation, die bereit ist, Kompromisse mit dem Teufel einzugehen.โLudwig Marcuse, der Philosoph, sprach bedรคchtig, fast professoral:
โDie Figur im Mephisto ist nicht nur der Schauspieler. Sie ist Allegorie. Wer im Reich Karriere macht, verkauft immer auch seine Moral. Die Frage, Klaus, ist: hast du ein Epos geschaffen โ oder ein Schlรผsselroman? Wenn es Letzteres ist, bleibt es an der Person hรคngen. Wenn es Ersteres ist, dann wird es uns รผberdauern.โKlaus presste die Lippen zusammen, dann nickte er.
โIch will beides sein. Zeitzeuge und Anklรคger. Persรถnlich und universal. Vielleicht gelingt es nicht, vielleicht falle ich zwischen die Stรผhle. Aber ich kann nicht schweigen.โMaria Huxley legte die Hand leicht auf Aldousโ Arm, fast beschwichtigend.
โSanary ist voller Stimmen, voller Bรผcher. Und dochโฆ hรถren sie drauรen die Welt? Vielleicht braucht es beides โ den Reporter, den Dichter, den Analytiker, die Allegorie. Vielleicht ist jeder von euch ein Stรผck einer grรถรeren Wahrheit.โEin Windstoร wehte vom Hafen herรผber, rรผttelte an den Markisen, brachte den Geruch von Salz und Tang. Fรผr einen Moment schwiegen sie alle, nur das Klirren der Glรคser und das ferne Lachen anderer Gรคste war zu hรถren.
Dann hob Kisch sein Glas.
โAuf den Schmerz, auf den Teufel, auf das Exil! Und darauf, dass wir wenigstens hier, in diesem kleinen Cafรฉ de Lyon, ein Stรผck Freiheit haben.โKlaus sah in die Runde, und trotz aller Schwermut huschte ein Lรคcheln รผber sein Gesicht.
โUnd auf die Hoffnung, dass Worte nicht ganz machtlos sind.โDie Glรคser stieรen an. Drauรen brandete das Meer.
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Renรฉ Schickele โ Zwischen Schwarzwald und Cรดte dโAzur
Renรฉ Schickele โ Zwischen Schwarzwald und Cรดte dโAzur
Ein Literat im Exil und seine Begegnungen mit der europรคischen BohรจmeRenรฉ Schickele, deutsch-franzรถsischer Schriftsteller, Publizist und รผberzeugter Europรคer, verbrachte die letzten Jahre seines Lebens zwischen drei sehr unterschiedlichen, aber fรผr ihn prรคgenden Orten: dem Kurort Badenweiler im Schwarzwald, dem pittoresken Sanary-sur-Mer in Sรผdfrankreich und der Hafenstadt Nizza.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 musste Schickele Deutschland verlassen. Badenweiler, wo er in den 1920er-Jahren zeitweise gelebt hatte und im Austausch mit anderen Intellektuellen stand, wurde fรผr ihn zu einem Ort der Erinnerung โ ein Rรผckzugsort, an den er spรคter nur noch gedanklich zurรผckkehren konnte.
Das eigentliche Zentrum seines Exils wurde jedoch Sanary-sur-Mer, ein kleines Fischerdorf in der Provence, das in den 1930er-Jahren zu einem Sammelpunkt deutschsprachiger Exilanten und europรคischer Kรผnstler wurde. Hier traf Schickele auf eine illustre Gesellschaft: Schriftsteller wie Thomas Mann, Lion Feuchtwanger und Franz Werfel suchten ebenso Schutz vor dem politischen Klima wie Kรผnstlerinnen und Kรผnstler der bildenden Kunst. Auch Erwin Piscator, der Theaterreformer, und Alma Mahler-Werfel gehรถrten zum Kreis. In den Cafรฉs und an den Uferpromenaden Sanarys wurden politische Fragen ebenso intensiv diskutiert wie literarische Projekte โ ein geistiger Freiraum, den die Exilierten dringend brauchten.
Fรผr Schickele war Sanary nicht nur ein Ort der Zuflucht, sondern auch ein Treffpunkt fรผr den europรคischen Dialog. In Gesprรคchen mit Feuchtwanger oder den Manns vertiefte er seine Vorstellung eines รผbernationalen, humanistischen Europas โ ein Leitgedanke, der sich wie ein roter Faden durch sein Werk zog.
Spรคter zog es ihn weiter nach Nizza, wo er die milden Winter an der Cรดte dโAzur verbrachte. Hier verschlechterte sich jedoch sein Gesundheitszustand, und die politische Lage in Europa lieร ihm keine Ruhe. Trotz der bedrรผckenden Umstรคnde arbeitete er weiter an Essays und Artikeln, in denen er vor den Gefahren des Nationalismus warnte.
Renรฉ Schickele starb 1940 in Vence bei Nizza. Sein Lebensweg zwischen Badenweiler, Sanary-sur-Mer und Nizza spiegelt nicht nur das Schicksal vieler europรคischer Intellektueller im Exil wider, sondern steht auch fรผr den Versuch, in Zeiten der Zerstรถrung eine geistige Heimat zu bewahren.