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    Renoir und Monet am Cap Martin – Ein Disput in Farben

    Im Frühjahr 1884, als Auguste Renoir und Claude Monet gemeinsam auf eine Studienreise an die Côte d’Azur aufbrachen, war die Riviera noch weit entfernt vom mondänen Glanz, den sie wenige Jahrzehnte später ausstrahlen sollte. Zwischen Menton und Cap Martin herrschte eine eigentümliche Mischung aus Herbheit und Sanftheit: Olivenhaine, deren silbriges Laub im Wind zitterte, dunkelgrüne Pinien, die dem gleißenden Blau des Meeres scharf gegenüberstanden. Für beide Maler, die seit Jahren als führende Köpfe des Impressionismus galten, war es eine Landschaft, die das Licht selbst zum Gegenstand der Malerei erhob.

    Am Zollweg oberhalb von Cap Martin, von wo der Blick weit nach Osten über Menton hinaus bis an die ligurische Küste reichte, stellten sie ihre Staffeleien auf. Renoir hatte sich nach seiner Reise nach Italien verstärkt auf eine klassischere, fast an Ingres erinnernde Bildsprache zubewegt, doch in seinen Darstellungen der Riviera entfaltete er wieder jene vibrierende Sinnlichkeit, die ihn berühmt gemacht hatte. Sein Gemälde Vue de Menton (1884) zeigt das Städtchen in einer Fülle warmer Farben, beinahe wie in einen Schleier mediterraner Glut getaucht.

    Monet hingegen blieb in seiner Serie von Ansichten des Cap Martin – heute verstreut in Museen und Privatsammlungen – seinem Prinzip treu, das wechselnde Licht in nuancierten Schattierungen zu bannen. Dort erscheint das Meer nicht als eine feste, einmalige Farbe, sondern als unendliches Spektrum von Blau, Violett und Grün, je nach Tageszeit und Wetter.

    Gerade diese Differenz führte zu einem leidenschaftlichen Disput. Renoir beharrte darauf, dass das Mittelmeer nicht in seiner Flüchtigkeit, sondern in seiner sinnlichen Beständigkeit eingefangen werden müsse. Für ihn war das Blau keine analytische Kategorie, sondern eine Umarmung, eine körperlich erfahrbare Wärme. Monet hingegen hielt entgegen, dass die Wahrheit in der unermüdlichen Beobachtung liege: im Flirren der Reflexe, im Spiel der wechselnden Wolken, im Atem des Windes über den Wellen.

    So entstanden zwei Bilder vom gleichen Ort – beide zeigen den Zollweg mit Blick auf Menton, und doch könnten sie unterschiedlicher kaum sein. Renoirs Leinwand leuchtet in satten, warmen Tönen, als wolle sie die Riviera zum Fest machen. Monets Bild dagegen trägt die Handschrift der Flüchtigkeit: das Meer als lebendiger Organismus, der nie stillsteht.

    In dieser Gegenüberstellung spiegelt sich nicht nur ein persönlicher Disput, sondern das ganze Spannungsfeld des Impressionismus. Während Renoir zunehmend eine Synthese aus klassischer Form und impressionistischer Farbe suchte, blieb Monet dem radikalen Experiment verpflichtet, das Licht in seiner momentanen Erscheinung festzuhalten. Dass beide 1884 am Cap Martin nebeneinander arbeiteten, lässt sich in ihren Werken nachweisen: Renoirs Vue de Menton und Monets Serie der Küstenansichten bilden bis heute einen faszinierenden Dialog zweier Temperamente.

    So bleibt dieser Spaziergang am Cap Martin nicht bloß eine Episode, sondern ein symbolisches Bild. Auf dem schmalen Weg oberhalb des Mittelmeers verdichtete sich der Gegensatz zweier künstlerischer Haltungen zu einer produktiven Spannung. Die Côte d’Azur schenkte beiden ihre Wahrheit – die eine glühend und körperlich, die andere flüchtig und atmend. Und in der Summe beider Bilder lebt bis heute der Zauber dieser Landschaft fort, als Echo eines Disputs, der das Wesen der impressionistischen Malerei berührt.

    Kunsthistorische Quellen & Standorte

    1. Monet: Cap Martin, nahe Menton, 1884
      Dieses Gemälde befindet sich in der Sammlung des Museum of Fine Arts, Boston (USA). MFA Boston Custom Prints+1
      Dort ist es katalogisiert als „Cap Martin, near Menton, 1884“. MFA Boston Custom Prints
    2. Renoir: Landscape on the Coast, near Menton, 1883
      Dieses Bild – ein früher Blick auf die Küste bei Menton – gehört ebenfalls zur Sammlung des Museum of Fine Arts, Boston. collections.mfa.org
      Maße: ca. 65,7 × 81,3 cm. collections.mfa.org
    3. Renoir-Museum in Cagnes-sur-Mer
      Obwohl es eigentlich kein Standort für die Cap-Martin-Arbeiten selbst ist (soweit dokumentiert), enthält das Musée Renoir in Cagnes-sur-Mer Originalgemälde, Skulpturen, und das Atelier Renoirs, und ist damit ein bedeutender Ort, um sich mit Renoirs Werk und seinen späten Lebensjahren auseinanderzusetzen. Côte d’Azur Frankreich+1