Category: Coté d’Azur

  • Nietzsche in Nice and Èze

    Nietzsche in Nice and Èze – A Portrait

    When Friedrich Nietzsche traveled to Nice in the winter of 1883/84, he was not only seeking the mild climate of the Côte d’Azur. He was seeking relief for his pain-ridden body, the rhythm of the sea, the clarity of the sky. What opened up for him here was more than just a “spa stay”: it was an aesthetic experience, a new topography of thought.

    In a letter to his sister Elisabeth, he wrote from Nice:
    “I have never seen such a sky, such brightness in the air, which lies like a light cloak over everything. Here one lives in a world of colors that gives birth not to intoxication but to clarity. Blue, the inexhaustible blue, permeates my entire thinking.”

    This view is significant: Nietzsche sees in the colors of Nice not a decorative idyll, but an existential reinforcement. Unlike in Turin or Genoa, where winter always brought him heaviness and illness, Nice opens up the possibility for him to experience the body not as an enemy, but as a resonance chamber of perception. Here he does not speak contemptuously of the body, but recognizes it as part of that “great yes” that his philosophy seeks.

    The road to Èze – philosophy on the move

    From Nice, an old mule track leads along the coast up to Èze, the eagle’s nest above the sea. Nietzsche often walked this path. The steep steps, the shimmer of light on the olive leaves, the play of shadows and rocks accompanied him like a silent choir.

    He notes:
    “It is as if with every step you enter another world of thoughts. The ascent is difficult, but it resembles what thinking itself demands: difficulty in order to reach the heights.”

    During these walks, the seed of that great unfinished work that would later become known as The Will to Power began to mature. Nietzsche’s notes from this period reveal a shift away from pure criticism of morality toward a philosophy of creation, of shaping, of “affirming life.”

    For Nietzsche, the will to power was not an abstract metaphor. He understood it as the dynamic energy that drives all living things, not only the spirit, but also nature, colors, the power of the sea, which he felt so directly in Nice. The body was no longer a burden to be overcome, but the place where this power manifests itself.

    Letters from a world of colors

    In another letter to his sister, he writes:
    “Here in Nice, one learns how easy life can be when it speaks only through colors. Everything is bright, not in the way of dazzling snow, but like the most delicate music.”

    These words are not merely private enthusiasm. They mark a turning point: Nietzsche develops a way of thinking that affirms the richness of appearances, that does not despise the body but recognizes it as a mediator of experience. For him, the world of colors is not an illusion but an expression of a depth that constitutes life itself.

    Nice as a place of affirmation

    Thus, Nice becomes a symbolic place of affirmation for Nietzsche. The road to Èze, the Mediterranean light, the bright facades of the old town, the vastness of the sky—all this is not a backdrop, but an active part of his thinking. It shapes the tone that can later be described as the “Dionysian” aspect of his late work: a way of thinking that is born not of contempt, but of affirmative power.

    The sea, the stones, the olive trees—they appear in his philosophy not as romantic scenery, but as allies. The concept of the will to power is not abstract here, but concrete: the sea shows it in its waves, the body in pain, the colors in their brilliance.

    Conclusion

    Nietzsche’s Nice is not a place of escape, but a space for thought. By walking the Côte d’Azur, by talking about colors in his letters, by experiencing the body as a resonance of the world, he opens up a new possibility for philosophy: a philosophy without contempt for the body.

    On the path to Èze, high above the sea, it seemed as if his thoughts were connected to the light—as if philosophy itself had become a walk, a path on which thought seeks altitude step by step.


    in german:

    Nietzsche in Nizza und Èze – Ein Porträt

    Wenn Friedrich Nietzsche im Winter 1883/84 nach Nizza reist, sucht er nicht allein das milde Klima der Côte d’Azur. Er sucht die Erleichterung für seinen schmerzgeplagten Körper, den Rhythmus des Meeres, die Klarheit des Himmels. Was sich hier für ihn eröffnet, ist mehr als ein bloßes „Kuraufenthalt“: es ist eine ästhetische Erfahrung, eine neue Topographie des Denkens.

    In einem Brief an seine Schwester Elisabeth schreibt er aus Nizza:
    „Ich habe noch nie einen solchen Himmel gesehen, eine solche Helle der Luft, die sich wie ein lichter Mantel über alles legt. Man lebt hier in einer Welt der Farben, die nicht den Rausch, sondern die Klarheit gebiert. Blau, das unerschöpfliche Blau, wie es mein ganzes Denken durchdringt.“

    Dieser Blick ist bezeichnend: Nietzsche sieht in den Farben Nizzas nicht die dekorative Idylle, sondern eine existentielle Verstärkung. Anders als in Turin oder Genua, wo der Winter für ihn immer wieder Schwere und Krankheit brachte, öffnet Nizza ihm die Möglichkeit, den Leib nicht als Feind, sondern als Resonanzraum der Wahrnehmung zu erfahren. Hier spricht er nicht verächtlich vom Körper, sondern anerkennt ihn als Teil jenes „großen Ja“, das seine Philosophie sucht.

    Der Weg nach Èze – Philosophie im Gehen

    Von Nizza aus führt ein alter Saumpfad die Küste entlang hinauf nach Èze, das Adlernest über dem Meer. Nietzsche ging diesen Weg häufig. Die steilen Stufen, das Flimmern des Lichts auf den Olivenblättern, das Spiel von Schatten und Felsen begleiteten ihn wie ein stiller Chor.

    Er notiert:
    „Es ist, als ob man mit jedem Schritt in eine andere Welt von Gedanken trete. Der Aufstieg ist schwer, doch er gleicht dem, was das Denken selbst verlangt: Schwere, um zur Höhe zu gelangen.“

    In diesen Spaziergängen reifte der Keim zu jenem großen unvollendeten Werk, das später unter dem Titel Der Wille zur Macht bekannt werden sollte. Nietzsches Aufzeichnungen aus dieser Zeit zeigen eine Bewegung: weg von der reinen Kritik an der Moral hin zu einer Philosophie der Schöpfung, des Gestaltens, der „Bejahung des Lebens“.

    Der Wille zur Macht war für Nietzsche keine abstrakte Metapher. Er verstand ihn als jene dynamische Energie, die alles Lebendige antreibt, nicht nur den Geist, sondern auch die Natur, die Farben, die Kraft des Meeres, die er in Nizza so unmittelbar empfand. Der Leib war nicht mehr die Last, die man überwinden muss, sondern der Ort, an dem sich diese Macht zeigt.

    Briefe aus einer Welt der Farben

    In einem anderen Brief an seine Schwester findet sich der Satz:
    „Hier in Nizza lernt man, wie leicht das Leben sein kann, wenn es nur durch Farben spricht. Alles ist hell, nicht in der Weise des blendenden Schnees, sondern wie die zarteste Musik.“

    Diese Worte sind nicht bloß private Schwärmerei. Sie markieren einen Wendepunkt: Nietzsche entwirft ein Denken, das den Reichtum der Erscheinungen bejaht, das den Körper nicht verachtet, sondern ihn als Mittler der Erfahrung anerkennt. Die Welt der Farben ist ihm nicht Illusion, sondern Ausdruck einer Tiefe, die das Leben selbst ausmacht.

    Nizza als Ort der Affirmation

    So wird Nizza für Nietzsche zum symbolischen Ort der Affirmation. Der Weg nach Èze, das mediterrane Licht, die leuchtenden Fassaden der Altstadt, die Weite des Himmels – all dies ist kein Hintergrund, sondern aktiver Teil seines Denkens. Es prägt jenen Ton, den man später als das „Dionysische“ seines Spätwerks beschreiben kann: ein Denken, das nicht aus der Verachtung, sondern aus der bejahenden Kraft geboren wird.

    Das Meer, die Steine, die Olivenbäume – sie treten in seine Philosophie nicht als romantische Staffage, sondern als Verbündete. Das Konzept des Willens zur Macht ist hier nicht abstrakt, sondern konkret: das Meer zeigt es im Wogen, der Körper im Schmerz, die Farben im Glanz.

    Schluss

    Nietzsches Nizza ist kein Fluchtort, sondern ein Denkraum. Indem er die Côte d’Azur ergeht, indem er in Briefen von den Farben spricht, indem er den Körper als Resonanz der Welt erfährt, öffnet er eine neue Möglichkeit der Philosophie: eine Philosophie ohne Verachtung des Leibes.

    Auf dem Pfad nach Èze, hoch über dem Meer, schien es, als ob sich seine Gedanken mit dem Licht verbanden – als ob die Philosophie selbst zum Spaziergang geworden wäre, ein Weg, auf dem das Denken Schritt für Schritt die Höhe sucht.


    Einige Originalzitate und ihre Bedeutung

    1. Brief aus Genua, Ende November 1883 „[…] morgen geht es fort, meine Herzenslieben, ich will etwas Neues, nämlich Nizza, versuchen, denn Genua hat mir diesesmal nicht gutgetan. Auch war ich inzwischen hier zu bekannt geworden – ich konnte nicht mehr leben, wie ich wollte. Genua ist mir eine ausgezeichnete Schule harter, einfacher Lebensweise gewesen; ich weiß jetzt, daß ich wie ein Arbeiter und Mönch leben kann. […] Sobald ich mich fest für Nizza entschlossen habe, schreibe ich.“ Projekt Gutenberg Hier zeigt sich deutlich sein Sehnen nach Nizza, nicht nur als Ort körperlicher Erleichterung, sondern als Ort, an dem er „leben, wie er wollte“ kann – frei von dem Beklemmenden, das er in Genua empfand.
    2. Brief an Schwester aus Nizza, 26. Januar 1887 „… bisher noch kein Stäubchen Schnee; und wenn auch die ferneren Berge um Nizza herum sich weiß gepudert haben, so möchte dies mehr unter die Toilettenkünste dieser südländischen Schönheit und Zauberin gehören als unter ihre Bösartigkeiten … Tatsächlich fehlt noch viel an der wirklichen Gesundheit; ich erinnere mich aber eines ganzen Nachmittags, wo ich mir gesund vorkam,…“ Projekt Gutenberg Dieses Zitat vermittelt, wie Nietzsche das milde Klima, das Licht und die Schönheit der Umgebung positiv erlebt – und wie diese Umgebung mit seiner Gesundheit, seiner Wahrnehmung und seinem Körperempfinden verbunden ist. Man merkt: Der Körper ist nicht Objekt der Verachtung, sondern Teil seiner Erfahrung.
    3. Brief an Schwester, Nizza, „es wimmelt …“ (später Winter) „Die Tage kommen hier mit einer unverschämten Schönheit daher; es gab nie einen vollkommneren Winter. Und diese Farben Nizzas: ich möchte sie Dir schicken. Alle Farben mit einem leuchtenden Silbergrau durchgesiebt; geistige, geistreiche Farben; nicht ein Rest mehr von der Brutalität der Grundtöne. Der Vorzug dieses kleinen Stücks Küste zwischen Alassio und Nizza ist eine Erlaubnis zum Afrikanismus in Farbe, Pflanze und Lufttrockenheit: das kommt im übrigen Europa nicht vor.“ Projekt Gutenberg Das ist wohl einer der besten Belege dafür, wie Nietzsche die Farben und das Licht empfindet, wie er Nizza selbst als fast einzigartigen Erfahrungsraum malt. „Nicht ein Rest mehr von der Brutalität der Grundtöne“ – hier klingt durch, dass die Umgebung ihn sensibilisiert, lasst Körper und Sinne in positiver Weise wirken.
    4. Brief vom 23. März 1887 „Ich wünsche etwas mehr Geld zu haben, so daß ich … eine eigene Küche haben könnte. … Es ist auch eine Sache des Stolzes: ich möchte ein Leben führen, das wirklich mir gemäß ist und nicht derartig schablonenmäßig erscheint …“ Projekt Gutenberg In diesem Zitat kommt heraus: Nietzsche wünscht sich Bedingungen, unter denen Leben und Leib in einem Einklang stehen, ohne fremde Zwänge, möglichst im Einklang mit eigenem Wesen. Auch das spricht gegen Verachtung des Leibes und für eine Philosophie, die Körper, Sinne und äußere Umgebung ernst nimmt.

  • Renoir und Monet am Cap Martin

    Renoir und Monet am Cap Martin – Ein Disput in Farben

    Im Frühjahr 1884, als Auguste Renoir und Claude Monet gemeinsam auf eine Studienreise an die Côte d’Azur aufbrachen, war die Riviera noch weit entfernt vom mondänen Glanz, den sie wenige Jahrzehnte später ausstrahlen sollte. Zwischen Menton und Cap Martin herrschte eine eigentümliche Mischung aus Herbheit und Sanftheit: Olivenhaine, deren silbriges Laub im Wind zitterte, dunkelgrüne Pinien, die dem gleißenden Blau des Meeres scharf gegenüberstanden. Für beide Maler, die seit Jahren als führende Köpfe des Impressionismus galten, war es eine Landschaft, die das Licht selbst zum Gegenstand der Malerei erhob.

    Am Zollweg oberhalb von Cap Martin, von wo der Blick weit nach Osten über Menton hinaus bis an die ligurische Küste reichte, stellten sie ihre Staffeleien auf. Renoir hatte sich nach seiner Reise nach Italien verstärkt auf eine klassischere, fast an Ingres erinnernde Bildsprache zubewegt, doch in seinen Darstellungen der Riviera entfaltete er wieder jene vibrierende Sinnlichkeit, die ihn berühmt gemacht hatte. Sein Gemälde Vue de Menton (1884) zeigt das Städtchen in einer Fülle warmer Farben, beinahe wie in einen Schleier mediterraner Glut getaucht.

    Monet hingegen blieb in seiner Serie von Ansichten des Cap Martin – heute verstreut in Museen und Privatsammlungen – seinem Prinzip treu, das wechselnde Licht in nuancierten Schattierungen zu bannen. Dort erscheint das Meer nicht als eine feste, einmalige Farbe, sondern als unendliches Spektrum von Blau, Violett und Grün, je nach Tageszeit und Wetter.

    Gerade diese Differenz führte zu einem leidenschaftlichen Disput. Renoir beharrte darauf, dass das Mittelmeer nicht in seiner Flüchtigkeit, sondern in seiner sinnlichen Beständigkeit eingefangen werden müsse. Für ihn war das Blau keine analytische Kategorie, sondern eine Umarmung, eine körperlich erfahrbare Wärme. Monet hingegen hielt entgegen, dass die Wahrheit in der unermüdlichen Beobachtung liege: im Flirren der Reflexe, im Spiel der wechselnden Wolken, im Atem des Windes über den Wellen.

    So entstanden zwei Bilder vom gleichen Ort – beide zeigen den Zollweg mit Blick auf Menton, und doch könnten sie unterschiedlicher kaum sein. Renoirs Leinwand leuchtet in satten, warmen Tönen, als wolle sie die Riviera zum Fest machen. Monets Bild dagegen trägt die Handschrift der Flüchtigkeit: das Meer als lebendiger Organismus, der nie stillsteht.

    In dieser Gegenüberstellung spiegelt sich nicht nur ein persönlicher Disput, sondern das ganze Spannungsfeld des Impressionismus. Während Renoir zunehmend eine Synthese aus klassischer Form und impressionistischer Farbe suchte, blieb Monet dem radikalen Experiment verpflichtet, das Licht in seiner momentanen Erscheinung festzuhalten. Dass beide 1884 am Cap Martin nebeneinander arbeiteten, lässt sich in ihren Werken nachweisen: Renoirs Vue de Menton und Monets Serie der Küstenansichten bilden bis heute einen faszinierenden Dialog zweier Temperamente.

    So bleibt dieser Spaziergang am Cap Martin nicht bloß eine Episode, sondern ein symbolisches Bild. Auf dem schmalen Weg oberhalb des Mittelmeers verdichtete sich der Gegensatz zweier künstlerischer Haltungen zu einer produktiven Spannung. Die Côte d’Azur schenkte beiden ihre Wahrheit – die eine glühend und körperlich, die andere flüchtig und atmend. Und in der Summe beider Bilder lebt bis heute der Zauber dieser Landschaft fort, als Echo eines Disputs, der das Wesen der impressionistischen Malerei berührt.

    Kunsthistorische Quellen & Standorte

    1. Monet: Cap Martin, nahe Menton, 1884
      Dieses Gemälde befindet sich in der Sammlung des Museum of Fine Arts, Boston (USA). MFA Boston Custom Prints+1
      Dort ist es katalogisiert als „Cap Martin, near Menton, 1884“. MFA Boston Custom Prints
    2. Renoir: Landscape on the Coast, near Menton, 1883
      Dieses Bild – ein früher Blick auf die Küste bei Menton – gehört ebenfalls zur Sammlung des Museum of Fine Arts, Boston. collections.mfa.org
      Maße: ca. 65,7 × 81,3 cm. collections.mfa.org
    3. Renoir-Museum in Cagnes-sur-Mer
      Obwohl es eigentlich kein Standort für die Cap-Martin-Arbeiten selbst ist (soweit dokumentiert), enthält das Musée Renoir in Cagnes-sur-Mer Originalgemälde, Skulpturen, und das Atelier Renoirs, und ist damit ein bedeutender Ort, um sich mit Renoirs Werk und seinen späten Lebensjahren auseinanderzusetzen. Côte d’Azur Frankreich+1
  • Walter Bondy – Fotograf des Exils

    Walter Bondy – Fotograf des Exils und Chronist von Sanary

    Wenn man an die Exilorte der europäischen Intellektuellen in der Zwischenkriegszeit denkt, erscheint Sanary-sur-Mer wie ein leuchtender Punkt an der südfranzösischen Küste: ein Hafenstädtchen, das sich unversehens in eine provisorische Hauptstadt der deutschsprachigen Kultur verwandelte. Unter den Schriftstellern, Musikern und Künstlern, die hier Zuflucht suchten, befand sich auch Walter Bondy, ein Mann, der die Krise seiner Epoche nicht nur durchlebte, sondern sie mit der Kamera dokumentierte.

    Bondy, 1880 in Prag geboren, entstammte einer assimilierten jüdischen Familie. Schon früh stand er im Bann der Kunst: zunächst als Maler, später als Kunstkritiker, Sammler und Händler. In Wien und Berlin zählte er zu jenen Figuren, die die Moderne befeuerten, ohne sich selbst ganz ins Rampenlicht zu stellen. Sein Werk oszillierte stets zwischen eigenem künstlerischem Ausdruck und der Vermittlung anderer – ein Dasein als Mittler, Beobachter, Chronist.

    Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten musste Bondy Deutschland verlassen. Seine Flucht führte ihn nach Frankreich, wo er sich in Sanary-sur-Mer niederließ – jenem Ort, den Lion Feuchtwanger das „Hauptquartier der deutschen Literatur“ nannte. Hier lebten und arbeiteten Thomas Mann, Arnold Zweig, Franz Werfel, Alma Mahler-Werfel, die Feuchtwangers, die Kracauers und viele andere. Bondy aber nahm eine Sonderrolle ein: nicht als gefeierter Schriftsteller, sondern als Fotograf, der das Leben der Exilanten mit stillem, zugleich unbestechlichem Blick festhielt.

    Die Fotografie wurde für Bondy im Exil zum eigentlichen Medium der Existenz. In einer Welt, in der Sprache, Publikationsmöglichkeiten und Märkte von der Diktatur abgeschnitten waren, konnte die Kamera Brücken schlagen. Seine Porträts zeigen nicht nur Gesichter, sie spiegeln auch die Fragilität einer ganzen Generation, die auf gepackten Koffern lebte, heimatlos zwischen den Fronten einer sich verdüsternden Weltgeschichte.

    Bondys Atelier in Sanary war kein glamouröses Studio, sondern eher eine improvisierte Werkstatt. Doch dort gingen viele der großen Namen des Exils ein und aus. Seine Aufnahmen wirken unprätentiös: Sie verzichten auf Inszenierung und suchen die Nähe zur Person. In den Gesichtern von Schriftstellern und Künstlern, die alles verloren hatten außer ihrer geistigen Stimme, wird die Spannung zwischen innerer Würde und äußerer Unsicherheit greifbar.

    Dabei war Bondy selbst keineswegs nur der dokumentierende Außenstehende. Auch er lebte im Modus des Provisoriums, im ökonomischen Mangel, im ständigen Bewusstsein der Unsicherheit. Sein fotografisches Werk ist deshalb nicht nur Abbild einer Exilgemeinschaft, sondern auch Ausdruck einer eigenen existentiellen Lage. Der Fotograf des Exils war zugleich ein Exilant, dessen Kamera sein Überlebensinstrument wurde.

    In Sanary, diesem paradoxen Paradies, das Sonne und Weinreben bot, während in Deutschland Bücher verbrannt wurden, entstand so ein Bildarchiv, das heute zu den kostbaren Zeugnissen jener Epoche zählt. Bondys Porträts sind nicht nur ästhetisch überzeugend; sie sind auch historische Dokumente, Spiegel einer verlorenen Welt.

    Tragisch bleibt, dass Bondy wie viele andere nie wirklich Fuß fassen konnte. Nach 1940 verschärfte sich die Lage der Emigranten auch in Frankreich, Internierungslager und Flucht wurden zur bitteren Realität. Bondy selbst starb 1940 in Toulon, geschwächt und entwurzelt, kaum beachtet von einer Welt, die bereits im Krieg versank.

    Doch sein Vermächtnis ist unübersehbar: Walter Bondy hat die Gesichter des Exils bewahrt. In seiner Arbeit verschränken sich Kunst und Dokumentation, persönliches Schicksal und kollektives Gedächtnis. Wer heute seine Aufnahmen betrachtet, sieht nicht nur Schriftsteller, Musiker oder Künstler – man sieht den Abdruck einer ganzen Kultur, die im Süden Frankreichs noch einmal aufblühte, bevor sie von Verfolgung und Vernichtung überschattet wurde.

    Die Porträts – Gesichter einer verlorenen Welt

    Bondys Fotografien aus Sanary sind heute unschätzbare Dokumente. Sie zeigen die Exilanten nicht als Denkmalfiguren, sondern als Menschen in einer fragilen Gegenwart:

    • Lion Feuchtwanger porträtierte Bondy mit einem wachen, beinahe skeptischen Blick – der Schriftsteller, der in Frankreich zwar noch eine Stimme hatte, aber schon ahnte, dass er erneut fliehen musste.
    • Alma Mahler-Werfel erscheint in seinen Bildern nicht als glamouröse Muse, sondern ernst, fast streng – eine Frau, die in ihrer Biografie mehr Brüche vereinte als viele andere.
    • Franz Werfel zeigt er mit müden Augen, in einem Moment der Stille zwischen schöpferischem Furor und innerer Erschöpfung.
    • Auch Arnold Zweig und Ernst Toller hat Bondy festgehalten: Männer, die ihre literarische Autorität bewahren wollten, während ihr Alltag von Unsicherheit, ökonomischer Not und der Angst vor Internierung bestimmt war.

    Diese Aufnahmen verzichten auf spektakuläre Inszenierung. Bondy suchte nicht die Pose, sondern das Gesicht selbst, die kleine Regung, den Ausdruck zwischen Hoffnung und Sorge. Seine Bilder sind keine bloßen Künstlerporträts, sondern Zeugnisse einer Gemeinschaft im Übergang, die im Süden Frankreichs für einen kurzen Moment Atem schöpfte.

    Sanary, Nizza, Marseille, Los Angeles – Orte des Exils im Vergleich

    Um Bondys Bedeutung zu verstehen, lohnt der Blick auf die Geografie des Exils:

    • Sanary-sur-Mer war ein Ort der Nähe: klein, überschaubar, fast dörflich. Hier kannten sich die Exilanten, sie begegneten sich täglich am Hafen, beim Einkauf, in den Cafés. Bondys Fotografien leben von dieser Intimität.
    • Nizza und die Côte d’Azur boten hingegen mondänere Rückzugsräume. Hier versammelte sich eine kosmopolitische Gesellschaft aus Künstlern, Politikern, Diplomaten. Die Distanz zwischen den Exilanten war größer, ihre Sichtbarkeit höher.
    • Marseille wurde ab 1940 zum Transitort, chaotisch, gefährlich, geprägt von Flucht und Rettungsversuchen. Hier dominierten Pässe, Visa, Schiffstickets, nicht die Kontemplation.
    • Los Angeles schließlich, oft „Weimar am Pazifik“ genannt, wurde für viele zum dauerhaften Exil: Dort entstand eine deutschsprachige Parallelkultur, in der Schriftsteller, Musiker und Intellektuelle eine zweite Heimat fanden.

    Bondy aber blieb in Sanary. Und gerade das macht seine Bilder einzigartig: Sie zeigen den kurzen Moment, in dem die Exilanten noch nicht zerstreut waren, sondern eine Gemeinschaft bildeten. Ein Vorspiel zur Flucht, eingefroren im Licht Südfrankreichs.

    Vermächtnis

    Heute gelten Walter Bondys Fotografien als unschätzbare Zeugnisse des Exils. Sie erinnern daran, dass Kulturgeschichte nicht nur in Büchern geschrieben wird, sondern auch in Gesichtern. Bondy hat jene festgehalten, die die deutsche Kultur ins Exil trugen, bevor sie sich über Kontinente verstreute.

    Er selbst blieb eine Randfigur, starb vergessen – und doch verdankt ihm die Nachwelt ein visuelles Gedächtnis dieser Epoche. In seinen Bildern verbinden sich die persönliche Erfahrung des Flüchtlings mit dem Blick des Künstlers. Sanary lebt in ihnen fort: als Ort der Verlorenen, der Schaffenden, der Wartenden.

    Walter Bondy – Fotograf des Exils: ein Mann, der mit der Kamera die Würde jener bewahrte, die fast alles verloren hatten.

  • Karl Marx meets Léo Ferré at the casino

    Rouge et Noir – A short story from Monaco

    The night hung heavy over the principality when Karl Marx, marked by the dusty winds of Algiers, arrived in Monaco. His beard was tousled, his eyes glowed like coals, and yet he seemed weary from the battles of ideas. He had not sought the way to Monte Carlo, but here he was—on the threshold of the casino, where wealth and ruin were distributed at the tables of “Rouge et Noir.”

    Inside, amid sparkling chandeliers and the clatter of chips, sat Leo Ferré, the anarchist, poet, and singer. He had just growled the words “Poète… vos papiers!” when he saw Marx. They did not know each other, but it was as if they had always been destined to meet.

    “Monsieur Marx,” Ferré began mockingly, “here, where luck crumbles into cards and balls, you would search in vain for the proletariat. Only bourgeois and gamblers – the true rulers of the 20th century.”

    Marx took off his coat, sat down, and glanced at the roulette wheel: “My dear Ferré, this house is the purest allegory of capital. The ball rolls, and the player believes in freedom. But in truth, the laws of probability are as inexorable as economics. The casino always wins.”

    Ferré laughed harshly: “But it gives us illusion! People need dreams, not just analysis. Monaco—it has changed. From a poor rock with fishing nets to a realm of the rich. And yet: here, the longing for freedom creeps into every chanson.”

    Another figure stepped out of the shadows: Guillaume Apollinaire, his forehead filled with poems, like others with wine. “You speak of illusion and freedom? I tell you, Monaco is a poem in which the words roulette ball and sea, betrayal and hope, are intertwined. You don’t have to dissect them – you have to sing them.”

    The dialogue heated up, and the smoke from the cigars mingled with the spirit of the debates. Then Anthony Burgess entered the room, sharply dressed, a smile on his lips. He sat down as if he wanted to direct the scene. “Gentlemen, I wrote about violence and control, about societies that are like chessboards. But Monaco? It’s a laboratory. Here you can see how a microstate survives: through money laundering, through glamour, through the export of dreams. A dystopian microcosm.”

    “Dystopia?” snorted Marcel Pagnol, the southern storyteller, who had just arrived. “I tell you: here, too, the people live, here, too, the kitchen smells of garlic and the sea. Behind the facades of the casino, children laugh, old women tell stories, and the fishermen—yes, they still exist—cast their nets. You can’t just see the glitz. You have to feel the heart of the Midi.”

    The voices collided like balls on a roulette wheel. Marx railed against capitalism, Ferré sang verses of rebellion and love in a low voice, Apollinaire spoke in images, Burgess painted fears of the future, and Pagnol defended the everyday nature of humanity.

    Finally, the croupier dropped the ball. It rolled, bounced, danced. All eyes were on the game, which suddenly became more than just a game. “Rouge!” cried the room, and indeed – the ball landed on red.

    Marx stood up: “You see? It’s always a battle: red against black. And as long as people believe that happiness can be bought, history remains unfinished.”

    Ferré reached for his cigarette, blew smoke into the chandelier, and whispered, “Or you sing against it, Karl. You sing so loud that even the walls of this casino shake.”

    And outside, the Mediterranean Sea roared, indifferent as ever, while in Monaco the ball continued to roll—through the decades, through the voices of poets and rebels.


    in deutsch:

    Rouge et Noir – Eine Nouvelle aus Monaco

    Die Nacht hing schwer über dem Fürstentum, als Karl Marx, vom staubigen Wind Algiers gezeichnet, in Monaco eintraf. Sein Bart war zerzaust, die Augen glühten wie Kohlen, und doch wirkte er zugleich müde von den Kämpfen der Ideen. Er hatte nicht den Weg nach Monte Carlo gesucht, aber er war hier – auf der Schwelle des Casinos, wo Reichtum und Ruin sich an den Tischen des „Rouge et Noir“ verteilten.

    Drinnen, zwischen funkelnden Kronleuchtern und dem Lärm der Jetons, saß Leo Ferré, der Anarchist, Dichter und Sänger. Er hatte gerade die Worte „Poète… vos papiers!“ hingeknurrt, als er Marx erblickte. Sie kannten sich nicht, doch es war, als ob sie sich immer schon begegnen mussten.

    „Monsieur Marx,“ begann Ferré spöttisch, „hier, wo das Glück in Karten und Kugeln zerfällt, würden Sie wohl das Proletariat vergeblich suchen. Nur Bourgeois und Spieler – die wahren Herrscher des 20. Jahrhunderts.“

    Marx legte den Mantel ab, nahm Platz, und sein Blick streifte das Roulette: „Mein lieber Ferré, dieses Haus ist die reinste Allegorie des Kapitals. Die Kugel rollt, und der Spieler glaubt an die Freiheit. Doch in Wahrheit sind die Gesetze der Wahrscheinlichkeit so unerbittlich wie die Ökonomie. Das Casino gewinnt immer.“

    Ferré lachte hart: „Aber es schenkt Illusion! Die Menschen brauchen Träume, nicht nur Analysen. Monaco – es hat sich gewandelt. Vom armseligen Felsen mit Fischernetzen zu einem Reich der Reichen. Und doch: hier schleicht sich die Sehnsucht nach Freiheit in jedes Chanson.“

    Aus den Schatten trat eine weitere Gestalt: Guillaume Apollinaire, die Stirn mit Gedichten gefüllt, wie andere mit Wein. „Ihr sprecht von Illusion und Freiheit? Ich sage euch, Monaco ist ein Gedicht, in dem die Wörter Roulettekugel und Meer, Verrat und Hoffnung, sich ineinander verstricken. Man muss sie nicht zerlegen – man muss sie singen.“

    Der Dialog erhitzte sich, und der Rauch der Zigarren mischte sich mit dem Geist der Debatten. Da betrat Anthony Burgess den Saal, scharf gekleidet, ein Lächeln auf den Lippen. Er setzte sich dazu, als wolle er Regie führen. „Meine Herren, ich schrieb von Gewalt und Kontrolle, von Gesellschaften, die wie Schachbretter sind. Aber Monaco? Es ist ein Labor. Hier zeigt sich, wie ein Zwergstaat überlebt: durch Geldwäsche, durch Glanz, durch den Export von Träumen. Ein dystopischer Mikrokosmos.“

    „Dystopie?“ schnaubte Marcel Pagnol, der südliche Erzähler, eben eingetroffen. „Ich sage euch: Auch hier lebt das Volk, auch hier riecht die Küche nach Knoblauch und Meer. Hinter den Fassaden des Casinos lachen Kinder, alte Frauen erzählen Geschichten, und die Fischer – ja, es gibt sie noch – werfen ihre Netze. Man darf nicht nur den Glanz sehen. Man muss auch das Herz des Midi spüren.“

    Die Stimmen prallten aufeinander wie Kugeln auf dem Roulette. Marx wetterte gegen den Kapitalismus, Ferré sang halblaut Verse von Aufruhr und Liebe, Apollinaire sprach in Bildern, Burgess malte Zukunftsängste, und Pagnol verteidigte die Alltäglichkeit des Menschlichen.

    Schließlich ließ der Croupier die Kugel fallen. Sie rollte, sprang, tanzte. Alle Augen richteten sich auf das Spiel, das plötzlich mehr war als ein Spiel. „Rouge!“ rief der Saal, und tatsächlich – die Kugel fiel auf Rot.

    Marx erhob sich: „Seht ihr? Es bleibt immer ein Kampf: Rot gegen Schwarz. Und solange die Menschen glauben, das Glück könne man kaufen, bleibt die Geschichte unvollendet.“

    Ferré griff nach seiner Zigarette, blies den Rauch in den Kronleuchter und flüsterte: „Oder man singt gegen sie an, Karl. Man singt so laut, dass selbst die Mauern dieses Casinos beben.“

    Und draußen rauschte das Mittelmeer, gleichgültig wie immer, während in Monaco die Kugel weiterrollte – durch die Jahrzehnte, durch die Stimmen der Dichter und Rebellen.


    Rouge et Noir – Ein Disput in Monte Carlo

    (Theater in Prosa, in vier Szenen)


    Personen

    • Karl Marx, Philosoph, vom Wüstenwind Algiers gezeichnet.
    • Leo Ferré, anarchistischer Chansonnier, zynisch und glühend zugleich.
    • Guillaume Apollinaire, Dichter, halb Geist, halb Mensch.
    • Anthony Burgess, Schriftsteller, Beobachter der Moderne, ironisch.
    • Marcel Pagnol, Erzähler des Südens, menschlich und warm.
    • Croupier, stumm, aber Schicksal in Bewegung setzend.

    Szene I – Ankunft

    (Ein Saal des Casinos. Spiegel und Kronleuchter, das Klingen von Jetons. Marx tritt ein, schwer atmend, den Mantel über dem Arm. Er bleibt am Roulette stehen. Ferré sitzt bereits da, Zigarette in der Hand.)

    Ferré: (spöttisch)
    Monsieur Marx! Ein Revolutionär im Tempel des Spiels. Hier regiert nicht das Volk, hier regiert die Kugel.

    Marx: (setzt sich, mit Blick auf das Roulette)
    Gerade deswegen, mein Lieber. Hier zeigt sich das Kapital in seiner reinsten Form: Die Freiheit als Illusion, die Gesetze der Zahl als eiserne Notwendigkeit. Immer gewinnt das Haus.

    Ferré: (lacht rau)
    Aber das Haus nährt die Träume. Und ohne Träume, Karl, hungern die Menschen mehr als ohne Brot.


    Szene II – Der Dichter

    (Apollinaire tritt aus dem Halbdunkel, ein Glas in der Hand, als sei er aus den Versen selbst herabgestiegen.)

    Apollinaire:
    Ihr sprecht von Brot und Illusion? Ich sage euch: Monaco ist ein Gedicht aus Marmor und Meer. Das Roulette singt, die Jetons reimen. Zerlegt ihr den Reim, bleibt nur Staub.

    Marx: (hart)
    Poesie ist das Opium des Bürgertums, solange sie den Aufstand nicht nährt. Ihr verhüllt die Wahrheit in schönen Bildern.

    Apollinaire:
    Und doch träumt selbst der Revolutionär in Versen.

    Ferré: (zischelt)
    Ich bin der Beweis. Meine Chansons sind Poesie, aber sie brennen.


    Szene III – Das Labor

    (Burgess tritt ein, scharf gekleidet, lächelnd. Er bleibt stehen, als führe er Regie.)

    Burgess:
    Meine Herren, ihr träumt, ihr kämpft – und doch überseht ihr das Wesentliche: Monaco ist ein Labor. Ein Zwergstaat, der überlebt, indem er Kapital wäscht, Glanz verkauft, Dystopie im Miniaturformat.

    Ferré: (bitter)
    Und doch kann ein Lied diese Puppenstube erschüttern.

    Burgess: (kalt)
    Oder nur begleiten, wie Musik in einem Salon, während die Spieler verlieren.

    (Pagnol tritt hinzu, die Wärme des Midi in der Stimme.)

    Pagnol:
    Ihr alle seht nur Fassaden. Ich sehe die Menschen: Fischer, Kinder, Mütter, Händler. Hinter dem Glanz lebt ein Alltag. Geschichten, die nach Meer riechen. Monaco ist nicht nur Roulette.

    Marx: (schlägt mit der Faust auf den Tisch)
    Gerade sie sind es, die man verschlingt! Ihr Leben nährt diesen Apparat, den ihr Alltag nicht schützen kann.


    Szene IV – Entscheidung

    (Der Croupier setzt die Kugel in Bewegung. Alle verstummen. Die Kugel rollt, springt, klackt. Jeder Blick folgt ihr.)

    Marx: (erhebt sich)
    Seht! Hier verdichtet sich Geschichte: Rot gegen Schwarz. Symbol des Kampfes, Allegorie der Welt.

    (Die Kugel fällt auf Rot. Stille. Dann ein Aufatmen.)

    Marx: (triumphierend)
    Rot! Das Zeichen des Aufstands. Geschichte ist kein Spiel, aber sie kennt nur diesen Weg.

    Ferré: (bläst Rauch in die Kronleuchter, leise)
    Vielleicht, Karl. Aber ohne das Lied, ohne den Traum, bleibt selbst dein Rot stumm.

    (Schweigen. Das Meer rauscht unsichtbar hinter den Spiegeln. Der Croupier sammelt die Jetons, ungerührt.)

    Vorhang.

    Marx und Ferre
  • What impact did Graham Greene’s books have on life in Nice?

    Graham Greene spent over two decades in Nice (from the 1960s to the 1980s) and, with his books and personality, shaped not only the literary image of the city, but also the international public’s perception of Nice. The impact of his works on life in Nice can be described in several dimensions:

    1. Literary portrait of a city in the shadows
      Greene did not portray Nice as a glamorous holiday resort on the Côte d’Azur, but as a place with two faces: behind the glittering façade of the Promenade des Anglais lay corruption, crime, exiles, shady deals and human abysses. Novels such as Doctor Fischer of Geneva or The Bomb Party and his essays on the city painted a picture of Nice that was far removed from the idyllic postcard image. This ‘other Nice’ became internationally known through him.
    2. Influence on the city’s self-image
      Greene was a prominent citizen of Nice and at the same time a sharp critic. He repeatedly attacked the corruption of local politicians in public, especially during the long era of Mayor Jacques Médecin. His literary and journalistic texts raised public awareness of these abuses. For some residents, he was an uncomfortable voice of warning, for others a kind of moral conscience.
    3. Impact on international perception
      His books made Nice not only a glamorous holiday destination for many readers worldwide, but also a stage for moral twilight, a ‘Greene landscape’ of intrigue, espionage, chance encounters and existential loneliness. This ambivalence influenced the city’s tourist and cultural image abroad.
    4. Literary appeal and lasting impact
      The fact that Greene lived in Nice and wrote about the city attracted other writers, journalists and intellectuals. Even today, literary city tours visit places associated with him – cafés, hotels, streets. In doing so, he has secured Nice a permanent place in the ‘portfolio of world literature’.

    👉 In summary:
    Graham Greene’s books and writings about Nice had less direct social impact, but a strong cultural and symbolic impact. They made the city an international symbol of a ‘moral landscape’ full of contradictions, helped to highlight political injustices, and contributed to Nice being associated not only with sun and beaches, but also with literature, criticism and world views.


    A literary stroll through Graham Greene’s Nice

    1. Promenade des Anglais

    The famous coastal road is full of elegance on postcards, but for Greene it was often a place of shadows. He saw not only the sun and sea here, but also the gap between wealth and poverty. Walks along the promenade were part of his daily routine – but at the same time, it was a backdrop for stories of chance, encounters, and melancholy.

    1. Hôtel Negresco

    The magnificent Belle Époque hotel by the sea served as a symbol of luxury for Greene, which he viewed with suspicion. In his descriptions, the Negresco becomes a stage on which the rich celebrate, while corruption and decay reign outside. For today’s visitors, it is a key location for understanding Greene’s ambivalent relationship with glamorous Nice.

    1. Old Town of Nice (Vieux Nice)

    The narrow, dark alleys with markets, small bars, and a touch of decay appealed to Greene more than the gleaming facades of the beach hotels. Here he found the material for his observations: everyday life, the hidden, the margins of society. A stroll through the Rue de la Préfecture or the Cours Saleya still gives a sense of this atmosphere today.

    1. Café de Turin (Place Garibaldi)

    Greene liebte es, in Cafés zu sitzen und Menschen zu beobachten. Das „Café de Turin“, berühmt für Austern und Meeresfrüchte, gehörte zu seinen bevorzugten Plätzen. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen Einheimischen, Reisenden und Exilanten – eine soziale Bühne, wie sie Greene für seine Geschichten brauchte.

    1. Sein Wohnhaus in Cimiez

    Greene lebte lange im Viertel Cimiez, auf den Hügeln über der Stadt, wo einst auch Königin Victoria residierte. Dort hatte er Ruhe, zugleich aber auch Distanz zum Trubel der Küste. Von hier aus schrieb er, führte Korrespondenzen und empfing Besucher. Das Viertel selbst – mit seinen Palästen, Olivenhainen und alten Klöstern – zeigt die Ambivalenz von Nizzas Geschichte zwischen Adel und Moderne.

    1. Place Masséna

    Der große Platz im Herzen der Stadt war für Greene ein Ort der Beobachtung. Hinter den klassizistischen Fassaden verbarg sich für ihn nicht nur Eleganz, sondern auch das Geschäftemachen und die Nähe zur politischen Macht. Hier verdichtete sich sein Bild vom „anderen Nizza“ – einem Ort, der nie nur schön, sondern immer auch zwielichtig war.

    1. Das politische Nizza – Rathaus und Gericht

    Greene engagierte sich öffentlich gegen die Korruption unter Bürgermeister Jacques Médecin. Diese Haltung floss auch in sein literarisches Porträt der Stadt ein. Wer heute das Rathaus oder das Palais de Justice besucht, sieht Orte, die für Greene nicht nur Verwaltungsgebäude, sondern Symbole einer politisch unterwanderten Stadt waren.

    Nizza durch Greene’s Augen erleben

    Wer Nizza besucht, kann durch seine Orte spazieren und zugleich die unsichtbare Ebene seiner Literatur entdecken:

    Die Promenade ist nicht nur Meer, sondern auch Bühne für Einsamkeit.

    Die Altstadt zeigt das wahre Leben hinter der glänzenden Fassade.

    Cafés und Plätze sind Orte, an denen Geschichten entstehen.

    Graham Greene hat Nizza damit eine zweite Identität geschenkt: hinter dem touristischen Bild liegt eine literarische Stadt, in der man stets zwischen Licht und Schatten wandert.


    in deutsch:

    Graham Greene verbrachte über zwei Jahrzehnte in Nizza (von den 1960er bis in die 1980er Jahre) und prägte mit seinen Büchern und seiner Persönlichkeit nicht nur das literarische Bild der Stadt, sondern auch die Wahrnehmung Nizzas in der internationalen Öffentlichkeit. Die Auswirkungen seiner Werke auf das Leben in Nizza lassen sich in mehreren Dimensionen beschreiben:

    1. Literarisches Porträt einer Stadt im Schatten
    Greene zeigte Nizza nicht als glamourösen Ferienort der Côte d’Azur, sondern als Ort mit zwei Gesichtern: hinter der glänzenden Fassade der Promenade des Anglais verbargen sich Korruption, Kriminalität, Exilanten, zwielichtige Geschäfte und menschliche Abgründe. Romane wie „Doctor Fischer of Geneva or The Bomb Party“ oder seine Essays über die Stadt zeichneten ein Bild von Nizza, das weit weg war vom Postkartenidyll. Dieses „andere Nizza“ wurde durch ihn international bekannt.

    2. Einfluss auf das Selbstbild der Stadt
    Greene war ein prominenter Bürger Nizzas und zugleich ein scharfer Kritiker. Er attackierte immer wieder öffentlich die Korruption der lokalen Politiker, insbesondere die lange Ära des Bürgermeisters Jacques Médecin. Seine literarischen und journalistischen Texte verstärkten das Bewusstsein der Bevölkerung für diese Missstände. Für manche Einwohner war er ein unbequemer Mahner, für andere eine Art moralisches Gewissen.

    3. Wirkung auf die internationale Wahrnehmung
    Seine Bücher machten Nizza für viele Leser weltweit nicht nur zu einem mondänen Urlaubsort, sondern zu einer Bühne des moralischen Zwielichts, einer „Greene-Landschaft“ aus Intrigen, Spionage, Zufallsbegegnungen und existenzieller Einsamkeit. Diese Ambivalenz beeinflusste die touristische und kulturelle Außendarstellung der Stadt.

    4. Literarische Anziehungskraft und Nachwirkung
    Dass Greene in Nizza lebte und über die Stadt schrieb, zog andere Schriftsteller, Journalisten und Intellektuelle an. Noch heute werden in literarischen Stadtführungen Orte aufgesucht, die mit ihm verbunden sind – Cafés, Hotels, Straßen. Damit hat er Nizza einen festen Platz in der „Mappe der Weltliteratur“ verschafft.

    👉 Zusammengefasst:
    Die Bücher und Schriften von Graham Greene über Nizza hatten weniger direkte gesellschaftliche, aber starke kulturelle und symbolische Auswirkungen. Sie machten die Stadt international zum Sinnbild einer „moralischen Landschaft“ voller Widersprüche, halfen, politische Missstände sichtbar zu machen, und trugen dazu bei, dass Nizza nicht nur mit Sonne und Strand, sondern auch mit Literatur, Kritik und Weltbetrachtung verbunden wird.


    Hier ein literarischer Stadtführer durch Graham Greenes Nizza, der dir Orte und Atmosphären näherbringt, die für ihn prägend waren und die in seinem Leben und Werk eine Rolle spielten:


    Ein literarischer Spaziergang durch Graham Greenes Nizza

    1. Promenade des Anglais

    Die berühmte Uferstraße ist auf Postkarten voller Eleganz, für Greene aber oft ein Ort der Schatten. Er sah hier nicht nur Sonne und Meer, sondern auch den Abstand zwischen Reichtum und Armut. Spaziergänge an der Promenade gehörten zu seinem Alltag – gleichzeitig aber war sie eine Kulisse für Geschichten von Zufall, Begegnung und Melancholie.


    2. Hôtel Negresco

    Das prachtvolle Belle-Époque-Hotel am Meer diente Greene als Symbol für den Luxus, den er misstrauisch beäugte. In seinen Beschreibungen wird das Negresco zur Bühne, auf der die Reichen feiern, während außerhalb Korruption und Verfall herrschen. Für heutige Besucher ist es ein Schlüsselort, um Greene’s ambivalentes Verhältnis zum mondänen Nizza zu verstehen.


    3. Altstadt von Nizza (Vieux Nice)

    Die engen, dunklen Gassen mit Märkten, kleinen Bars und einem Hauch von Verfall sprachen Greene mehr an als die glänzende Fassade der Strandhotels. Hier fand er den Stoff für seine Beobachtungen: das alltägliche Leben, das Verborgene, die Ränder der Gesellschaft. Ein Spaziergang durch die Rue de la Préfecture oder den Cours Saleya lässt noch heute etwas von dieser Atmosphäre spüren.


    4. Café de Turin (Place Garibaldi)

    Greene liebte es, in Cafés zu sitzen und Menschen zu beobachten. Das „Café de Turin“, berühmt für Austern und Meeresfrüchte, gehörte zu seinen bevorzugten Plätzen. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen Einheimischen, Reisenden und Exilanten – eine soziale Bühne, wie sie Greene für seine Geschichten brauchte.


    5. Sein Wohnhaus in Cimiez

    Greene lebte lange im Viertel Cimiez, auf den Hügeln über der Stadt, wo einst auch Königin Victoria residierte. Dort hatte er Ruhe, zugleich aber auch Distanz zum Trubel der Küste. Von hier aus schrieb er, führte Korrespondenzen und empfing Besucher. Das Viertel selbst – mit seinen Palästen, Olivenhainen und alten Klöstern – zeigt die Ambivalenz von Nizzas Geschichte zwischen Adel und Moderne.


    6. Place Masséna

    Der große Platz im Herzen der Stadt war für Greene ein Ort der Beobachtung. Hinter den klassizistischen Fassaden verbarg sich für ihn nicht nur Eleganz, sondern auch das Geschäftemachen und die Nähe zur politischen Macht. Hier verdichtete sich sein Bild vom „anderen Nizza“ – einem Ort, der nie nur schön, sondern immer auch zwielichtig war.


    7. Das politische Nizza – Rathaus und Gericht

    Greene engagierte sich öffentlich gegen die Korruption unter Bürgermeister Jacques Médecin. Diese Haltung floss auch in sein literarisches Porträt der Stadt ein. Wer heute das Rathaus oder das Palais de Justice besucht, sieht Orte, die für Greene nicht nur Verwaltungsgebäude, sondern Symbole einer politisch unterwanderten Stadt waren.


    Nizza durch Greene’s Augen erleben

    Wer Nizza besucht, kann durch seine Orte spazieren und zugleich die unsichtbare Ebene seiner Literatur entdecken:

    • Die Promenade ist nicht nur Meer, sondern auch Bühne für Einsamkeit.
    • Die Altstadt zeigt das wahre Leben hinter der glänzenden Fassade.
    • Cafés und Plätze sind Orte, an denen Geschichten entstehen.

    Graham Greene hat Nizza damit eine zweite Identität geschenkt: hinter dem touristischen Bild liegt eine literarische Stadt, in der man stets zwischen Licht und Schatten wandert.

  • Jazz on the Côte d’Azur

    Jazz on the Côte d’Azur – When Miles Davis, Duke Ellington, and Dizzy Gillespie conquered France.

    The Côte d’Azur, a place of sophisticated elegance in the 1950s and 1960s, was not only a meeting place for artists, writers, and movie stars, but also the stage for a musical conquest that came from across the Atlantic: jazz. Led by personalities such as Miles Davis, Duke Ellington, and Dizzy Gillespie, the French Riviera was transformed into a vibrant center of African-American music that set new standards – both musically and culturally.

    France’s fascination with jazz

    France had a special relationship with jazz from early on. Since the 1920s, when African American musicians such as Sidney Bechet performed in Paris, the country was considered a cosmopolitan refuge. In the post-war years, this fascination intensified: France not only offered artists from the US opportunities to perform, but also social recognition that was often denied them in their homeland due to racial segregation and discrimination.

    On the Côte d’Azur, where prosperity, tourism, and art came together in a glamorous mix, jazz became part of a new cultural identity.

    The Antibes-Juan-les-Pins Festival

    A key moment in this era was the founding of the Jazz à Juan festival in 1960 in the seaside resort of Juan-les-Pins. Surrounded by pine trees and just a stone’s throw from the sea, the festival featured performances by greats such as Miles Davis and Dizzy Gillespie. Davis’ performances on the Côte d’Azur, such as his legendary concert in 1963, are still considered milestones in European jazz history. His coolness and his playing, which oscillated between restraint and explosive power, found an audience in the south of France that enthusiastically embraced what had often still polarized opinion in the USA.

    Duke Ellington, on the other hand, brought the elegance of the big band sound to the Riviera. His concerts combined the splendor of swing with an experimental search for new forms of expression. Ellington knew how to present jazz as “serious music” without losing its danceability – an attitude that was very well received in France.

    Jazz as cultural diplomacy

    Dizzy Gillespie, with his unmistakable trumpet and his role as the father of bebop, also left his mark on the scene. His blend of virtuosity and humor, technical skill and Latin American rhythms made him a favorite with audiences. During the Cold War, he contributed to US cultural diplomacy as a “jazz ambassador” – but in France, he was more than a political emissary: he was a musician who crossed borders and conveyed a zest for life.

    The Côte d’Azur as a stage for freedom

    The performances of Davis, Ellington, and Gillespie on the Côte d’Azur were more than just concerts. They symbolized the cultural exchange between America and Europe, between black musical tradition and white audiences, between avant-garde and sophisticated lifestyle. Jazz on the Riviera meant sun, sea, and improvised music—a symbiosis of freedom and elegance.

    For many musicians, the Côte d’Azur was not only a stage, but also a place of relaxation and inspiration. Here they met European colleagues and had the opportunity to experiment outside the narrow categories of the US music market.

    Conclusion

    When Miles Davis, Duke Ellington, and Dizzy Gillespie conquered France, they turned the Côte d’Azur into a sounding board for jazz that resonated far beyond the region. Their concerts combined artistic innovation with social significance and helped jazz find a new home in Europe.

    The Côte d’Azur thus became not only a setting for glamorous living, but also a symbol of the international language of jazz—a music that embodies freedom, diversity, and passion.

    Jazz on the Coté d'Azur
    Jazz on the Coté d’Azur